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Warschau Frankenstein

Warschau Frankenstein

Der Künstler Boris Sieverts ist zum ersten Mal in Warschau. Von Köln aus betreibt er sein Büro für Städtereisen. Nach Köln, Duisburg, Luxemburg und Paris, will er nun auch den Warschauer/innen eine besondere Reise durch ihre Stadt anbieten. Warschauer Ghetto, Warschauer Aufstand, Warschauer Pakt, Krieg, Zerstörung, Willy Brandts historischer Kniefall, ein wenig Hollywood mit „Schindlers Liste" und Polanskis „Pianist". Es sind große Bilder, die einem bei Warschau in den Sinn kommen.
Kaum angekommen lässt Sieverts die mitgebrachten Bilder hinter sich, indem er sie buchstäblich umgeht. Wochenlang wandert er mit Rucksack und Stadtplan in Gegenden, von denen alle behaupten, dass sie einen Besuch nicht lohnen. Akribisch sucht er auf topografischen Karten nach Besonderheiten, Brüchen und Kanten.
So findet er Orte, die sich der Wahrnehmung entzogen haben, die Brachländer, die Hinterhöfe, die Parkhäuser und Notausgänge. Schmuddelecken, auf die niemand stolz ist, und die doch etwas Wesenhaftes über eine Stadt erzählen.
Dabei sind ihm die Wege so wichtig wie die Ziele. Straßen, Schneisen, Trampelpfade schaffen überraschende Verbindungen zwischen Räumen und Milieus. Und auf ihnen liegen Abenteuer! Wer hat sich schon einmal in der eigenen Stadt verlaufen? Hat sich verführen lassen, mit dem Fahrrad über die Autobahn zu rasen? Hat wohlig erschöpft die Nacht im Freien verbracht, anstatt ein paar Haltestellen entfernt im eigenen Bett zu schlafen?
Über Stock und Stein folgt die Filmemacherin Christiane Büchner (Perestrojka – Umbau einer Wohnung) dem sympathischen Protagonisten mit ihrer Kamera. In einem vergnüglichen und lebendigen Dialog zwischen den Beiden wird der/die Zuschauer/in direkt mit angesprochen und übernimmt ohne zu zögern den eigenwilligen Schönheitsbegriff des Künstlers. Nach dieser Schule des Sehens wird man sich kaum etwas Schöneres vorstellen können als einen vergammelten alten Wohnwagen vor der Silhouette einer Plattenbausiedlung.
WARSCHAU FRANKENSTEIN ist eine intelligente Reflexion über die Strukturen einer Großstadt und lässt den/die Zuschauer/in hautnah erleben, wie erfrischend es ist, einmal von der Rückseite ins scheinbar Bekannte einzusteigen. Noch dazu ist es genial einfach! Wer nach dem Film das Kino verlässt, kann die Methode Sieverts in der eigenen Stadt sofort ausprobieren!

Donnerstag, 01.01.1970 um 19:30 Uhr, Filmladen
  • Deutschland
  • 94:00 Min.
  • Regie: Christiane Büchner
  • Production: Harry Flöter, Jörg Siepmann
  • Kamera: Justy Feicht
  • Schnitt: Nina von Guttenberg
  • Musik: Aleksander Lason
  • Ton: Sławomir Karolak, Tomasz Wieczorek
  • Sprache: deutsch, englisch, polnisch
  • Untertitel: deutsche
  • Jahr: 2012
Deutschlandpremiere