Im Sommer 1967 fand auf dem Dörnberg bei Kassel das – wenn man so will – erste Filmseminar des „Anderen Kinos“ statt. Gerhard Büttenbender hatte den Experimentalfilmer Werner Nekes eingeladen, am Jugendhof Seminare anzubieten. Auch Dore O. kam hinzu, die beiden blieben drei Monate. Das von Klaus Wyborny damals so bewunderte Frühwerk von Werner Nekes, der anschließend nach Hamburg weiterzog und sich dort an der Gründung der „Filmmacher Cooperative“ beteiligte, ist größtenteils auf dem Dörnberg entstanden – so auch das berühmte Bewegungsund Schnittexperiment „Jüm-Jüm“ mit Dore O., und die beiden GURTRUG-Filme, in denen Nekes mit Seminarteilnehmer/innen die Bewegungsexperimente seiner ersten Filme „Fehlstart“ und „Start“, bei denen er noch allein im Bild war, in größerer Komplexität fortsetzte. Aus der Begegnung mit Bazon Brock entstand am Dörnberg DAS SEMINAR, die filmische Umsetzung eines „Trainingsseminars“, in dem die Frage des individuellen und gesellschaftlichen Neuanfangs visuell-spielerisch behandelt wird. Nekes’ formale Experimente – die die Filmsprache selbst revolutionieren sollten, anstatt einen Film lediglich zum Träger veränderter politischer Aussagen zu machen – waren für das Kasseler Filmkollektiv ein wichtiges Korrektiv zu den inhaltlich-agitatorischen Zielen. So wurde HEINRICH VIEL bei den Oberhausener Kurzfilmtagen gerade wegen seiner formalen Strenge – eine 30-minütige Einstellung auf einen Fließbandarbeiter im VW-Werk Baunatal bei Kassel – von vielen als unerträgliche Zumutung empfunden. Mit dem Film sollte Andy Warhols Prinzip der Realzeitbeobachtung aus der Kunstsphäre herausgeholt und auf die soziale Wirklichkeit gewendet werden.Student/innen der Berliner dffb, die in Oberhausen 1969 mit einer Ampex-Video-Anlage präsent waren stellten HEINRICH VIEL ins Zentrum der Diskussion um den politischen Zielgruppenfilm. Claudia von Alemann wiederum dokumentierte diese Diskussionen für den WDR – ein Zeitzeugnis, das die Potenziale erahnen lässt, die filmische Experimente damals hatten. Besonders umstritten war in Oberhausen Adolf Winkelmanns DIE FRESSE, eine Variante des Milgram-Experiments, die ihm von manchen den Vorwurf einbrachte, einen faschistischen Film gedreht zu haben. Statt vermeintlicher Stromstöße werden bei Winkelmann Ohrfeigen verabreicht. DER LÖWE, ein kurzer Film aus der Entstehungsphase des Kollektivs, untersuchte das Kameraverhalten „normaler Leute“ in einer gezielt gewählten Aufnahmesituation: Kasseler Spaziergänger/innen werden dazu gebracht, sich gegenüber der vermeintlichen Autorität der Kamera zu verhalten. Der durch Adolf Winkelmanns Arbeit beeinflusste Dörnberg-Praktikant Winfrid Parkinson erzielte mit seinem Film DER GOLDENE SCHUSS einen großen Heiterkeitserfolg. In parodistischer Kritik der Warenwelt praktiziert Parkinson seine eigene Vermarktung.
Zu Gast sind Adolf Winkelmann und Gisela Getty.
Das Seminar (Ausschnitt: Geschichtsstunde) / Werner Nekes, Bazon Brock / 12 Min.
Gurtrug I / Werner Nekes / 12 Min.
Die Fresse / Adolf Winkelmann / 15 Min.
Der Löwe / Wilhelm Winkelmann / 10 Min.
Der Goldene Schuß – Aus der Serie "Hauptsache W. Parkinson" / Winfrid Parkinson / 8 Min.
Oberhausen 1969 (Ausschnitt) / Claudia von Alemann / 8 Min.
Heinrich Viel / Gisela Büttenbender, Jutta Schmidt / 36 min.
(7 Filme, 101 Min.)