DokfestGeneration:
Marceline. A Woman. A Century


(Gloria Kino)

Marceline. Une Femme. Un Siècle

Eine „widerspenstige ältere Dame“ wurde Marceline, voller Respekt, zuletzt genannt. Zu Beginn des Films von Cordelia Dvorák sieht man die fast 90jährige nach einer Lesung aus ihrem Buch „Du bist nicht zurückgekommen“, wie sie Exemplare signiert und Fragen beantwortet. An beiden Händen trägt sie große extravagante Ringe, die Insekten und andere Tiere darstellen. Noch im hohen Alter ist sie radikal und leidenschaftlich unangepasst. „Man darf keine Angst haben im Leben. Wer Angst hat, ist verloren“, lautet ihre Lektion an eine junge Leserin. Zuhause in ihrer Pariser Wohnung bespricht sie das nächste autobiographische Buchprojekt mit ihrer Co-Autorin. Marceline Rozenberg war 15, als sie und ihr Vater – ein aus Lodz stammender Jude – in Südfrankreich festgenommen und nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurden. Sie überlebt als Nummer 78750, im Gegensatz zu ihrem Vater. 1945 kehrt sie nach Frankreich zurück, ihre Mutter konnte sich mit den Geschwistern in einem Versteck der Deportation entziehen. Bei Marcelines Rückkehr empfängt sie eine Mauer des Schweigens. Marceline lebt fortan in Paris, streift durch Cafés, sucht Halt in Affären, aber vor allem in Kunst und Literatur. 1960 tritt sie in Jean Rouchs und Edgar Morins wegweisendem Dokumentarfilm „Chronik eines Sommers“ auf, der das Cinéma Verité begründete. Der politische Film wird ihre neue Heimat. Ende der 60er wird sie wie viele Künstler/innen und Intellektuelle eine linke Aktivistin. Sie begegnet dem legendären niederländischen Dokumentarfilmregisseur Joris Ivens, reist mit ihm während des Krieges nach Nordvietnam und arbeitet an dessen Pro-Vietkong-Film „Der 17. Breitengrad“ mit. Sie dreht im Bürgerkrieg in Algerien und ergreift Partei – völlig blauäugig, wie sie im Alter analysiert. Mit dem 30 Jahre älteren Ivens entwickelt sich eine große Liebes- und Arbeitsbeziehung. Sie realisieren in den 70ern 13 Filme über die Kulturrevolution in China. Auch Ivens letzten Film, „Eine Geschichte über den Wind“ drehen sie kurz vor dessen Tod gemeinsam in China. Das Filmportrait besteht aus Gesprächen mit Marceline, einigen Weggefährt/innen, und Filmausschnitten besagter Filme, die sie mit großer Klarheit kommentiert. Es wird deutlich, dass Marceline all ihre Energie für die Arbeit und ihre Haltung – „ich bin eine Frau ohne dumme Prinzipien“ – aus der traumatischen Erfahrung des Holocaust bezieht. „Meine Universität Birkenau“ nennt sie die Quelle ihrer Courage. Dvoráks Film ist eine nachdenklich machende Chronik einer außergewöhnlichen Zeugin des 20. Jahrhunderts.… >>>

  • Dauer: 76 Min.
  • Regie: Cordelia Dvorák