Wie wäre es, wenn wir uns in einem Computerspiel nicht durch eine fiktive Welt bewegen würden, sondern stattdessen in eine 3D-Welt eintauchen, die eine Spiegelung unserer wirklichen Umgebung vor Ort darstellt? Ein Experiment, welches spätestens seit 1999 populär wurde – damals veröffentlichte die Valve Corporation den ersten kostenlosen Level-Editor für Half-Life. Das Projekt ERSCANNE DICH SELBST 2.0 greift diese Idee mit einem 3D-Model des KulturBahnhofs auf. Dabei tritt ein Scanverfahren an die Stelle der reinen Rekonstruktion. Mit dem sogenannten „Structure Sensor“ 3D-Scanner, der Formen und Texturen gleichzeitig aufzeichnet, entstehen Landschaften und Räume voller digitaler Artefakte (Glitches), die ihre eigenen Reize entwickeln. Die zentrale Idee des Projektes ist – wie der Titel andeutet – die Aufforderung an die Betrachter/innen, sich selbst mit dem gesamten Körper vor den Scanner zu stellen, um anschließend mit dem eigenen Charakter Teil des Spiels zu werden. Auf diese Weise wächst die „Bevölkerung“ des Spiels im Verlauf der Ausstellung. Aus den Betrachter/innen werden Mitspieler/innen, die in der virtuellen Gemeinschaft der Game-Charaktere bis zum Ende des Projekts erhalten bleiben. In Zeiten eines wachsenden Bewusstseins für die Bedeutung des Datenschutzes stellt sich natürlich auch die Frage nach der Legitimität der Preisgabe eines Ganzkörperscans für ein Kunstprojekt. Das Team bestehend aus Jan Reuter, Luna Hirt und Stefan Kreller begegnet dieser Problematik mit einem spielerischen Konzept: Die Mitspieler/innen inszenieren sich spontan und improvisiert so vor dem Scanner, dass wichtige Persönlichkeitsmerkmale frei nach den eigenen Wünschen verdeckt sind. Die Verfremdung fördert gleichzeitig meist eine intensivierte Selbstdarstellung. In Verbindung mit dabei auftretenden Glitch-Effekten entwickelt sich eine temporäre Gemeinschaft, die mit ihren „Mutationen“ als Gegenentwurf zur Gesellschaft außerhalb des Games verstanden werden könnte. Der unerschöpfliche Fluss unseres zwischenmenschlichen Austausches, der sich aus der Pluralisierung sozialer Lebenswelten ergibt, kennzeichnet eine Spaltung der Individuen in Teilexistenzen. Im Spiel kann mit einer einfachen „Berührung“ jeder Charakter gewechselt werden. Identität generiert sich in den neu gewonnen surrealen Freiräumen des Games und im fließenden Rollentausch als eine sozial transgressive Form von Gemeinschaft, in der es darauf ankommt, was die Spieler/innen daraus machen.