Ans Ende einer Reihe von Briefen kritzelt L ein Zitat des Dichters Aamir Aziz: „Everything will be remembered“. Diese Notiz schreibt L an dem Tag, als sie die staatliche indische Filmhochschule FTII verlasst. Sie war Teil einer studentischen Protestbewegung, die an dieser und anderen Hochschulen seit 2015 für unabhängige Orte der Bildung, Bildungsgerechtigkeit und gegen die Politik der hindunationalistischen Regierung kämpft. Polizeirepression, willkürliche Gewalt, Stigmatisierung und Ausgrenzung von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen: Alles wird erinnert werden. Ls Briefe richten sich an eine*n abwesende*n Geliebte*n, welche*r immer weiter in die Ferne zu rucken scheint. Sie werden zum Dokument wachsender Zweifel und Enttäuschung. „Vielleicht haben wir uns nie wirklich verstanden“, bemerkt L an einem Punkt und gesteht sich ein, dass sie an eine Person schreibt, die so nie existiert hat. Genauso, wie die Erinnerung an eine freiere Gesellschaft, für die die Filmhochschule exemplarisch steht, womöglich ein nostalgischer Mythos ist. Die Briefe schickt L nie ab. Sie sind inszeniertes Fundstück in einer Montage von Bildern und Tönen, die Träume und Zeugenberichte, Fiktionen und Dokumente, Innen- und Außenperspektiven wie in einem Strom von Erinnerungen zusammenfliesen lasst, der durch das Dunkel dieser NIGHT OF KNOWING NOTHING fuhrt. In den Graustufen der Schwarzweißbilder verbinden sich widersprüchliche Gefühle von Hoffnung, Widerstand, Verzweiflung und Schmerz zu einer Erfahrung der Gegenwart. Vor dem Hintergrund tektonischer Verschiebungen im Verhältnis von Bürger*innen und Politik, die weit über Indien hinausreichen, reflektieren L und andere der Studierenden die Aufgabe als zukünftige Filmemacher*innen. Was ist Film als soziale Praxis? Was ist die gesellschaftliche Funktion einer Hochschule? Was sind die eigenen Privilegien? Wie kann man gemeinsam mit anderen statt für, gegen oder über sie sprechen? (Philip Widmann)