Im Jahr 2020 wird der 93-jahrige Bruno D. schuldig gesprochen. Die Taten, die ihm zur Last gelegt werden, liegen mehr als 75 Jahre zurück. Bruno D. hat als SS-Wachmann im Konzentrationslager Stutthof gedient. Und sich damit zum Mittäter gemacht. Bereits 1963 hatte Generalstaatsanwalt Fritz Bauer im Frankfurter Auschwitz-Prozess versucht, nicht nur die Eliten des NS-Staates zur Verantwortung zu ziehen. Bauer wollte allen, die an der industriellen Vernichtung von Menschen aktiv beteiligt waren – als Wachmänner oder Schreibkräfte, medizinisches Personal oder Soldaten – ihre juristische Schuld nachweisen. Niemand sollte nur deshalb aus ihrer Verantwortung entlassen werden, weil ihnen kein konkreter Mord innerhalb des Vernichtungssystems nachgewiesen werden konnte. Doch erst in den letzten Jahren, 75 Jahre nach dem 2. Weltkrieg und über 50 Jahre nach Fritz Bauers Tod stehen sie nun also vor deutschen Gerichten: die ehemaligen SS-Männer wie John Demjanjuk, Oskar Gröning, Johann R. und eben Bruno D. Ihre Falle sind exemplarisch für das lange Scheitern der deutschen Justiz bei der Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus. Die Filmemacherinnen arbeiten diese Rechtsfälle mit akribischer Sorgfalt und investigativer Recherche auf und versammeln die Stimmen von Rechtswissenschaftler*innen, Historiker*innen und praktizierenden Jurist*innen. Doch auch überlebende Opfer, fast genauso alt wie die Angeklagten, und ihre Nachkommen erhalten das Wort und berichten von ihren Erfahrungen mit der juristischen Aufarbeitung der Verbrechen, die ihre Familien zerstörten. Besonders in dieser Dimension entfaltet der Film seine Relevanz für die Gegenwart: Es geht weniger darum, greise Täter zu langjährigen Gefängnisstrafen zu verurteilen, die sie mit großer Wahrscheinlichkeit nie absitzen werden müssen. Es geht um Gerechtigkeit für die Millionen Opfer und ihre Abermillionen Nachkommen, die über Jahrzehnte mit dem Wissen um die Straffreiheit der deutschen Täter*innen leben mussten. (Jens Geiger-Kiran)