Ein Leichenwagen fährt durch die Nacht. „Ich habe mich nicht entschieden, geboren zu werden. Ich wurde nie gefragt.“ Wer nie gefragt wurde, ist Theo Montoya, hineingeboren in die zweitgrößte Stadt Kolumbiens, in das Medellín der 1990er Jahre. Die junge Generation wächst ohne Väter auf, die Hoffnung auf ein Leben ohne Gewalt wird schnell begraben. Exzessive Partys der queeren Szene sind Ausdruck eines Drangs nach Freiheit in einer Stadt ohne Zukunft.
2017 lädt der junge Regisseur Freund*innen zum Casting für seinen ersten Film über Geister ein, die mit den Lebenden koexistieren. Doch der Hauptdarsteller, der sich auf Instagram „Anhell69“ nennt, stirbt an einer Überdosis. Der Film, der gedreht wird, ist nun ein anderer.
In dystopischen, punkigen wie poetischen Bildern porträtiert Montoya seine Generation in einer Stadt, in der Gewalt zum Alltag gehört. ANHELL69 ist ein Hybrid, das fluide zwischen Fiktion und dokumentarischer Erzählung wechselt. Der Film springt dabei in verschiedenen Zeitebenen und fungiert so auch als Erinnerung an einen Freund*innenkreis. In dieser Realität, in der Leben und Tod so nah beieinanderliegen, kann die Kamera eine Waffe sein und das Kino ein Zufluchtsort. Dies zeigt das visuell große Debüt mit voller melancholischer Wucht. (Sita Scherer)