Eine der aufregendsten Szenen in Manthia Diawaras neuem Essayfilm zeigt eine 90-jährige Heilerin in Trance. Sie tanzt und schwitzt, agil wie eine junge Frau, auf dem Kopf balanciert sie immerzu einen schweren Wassereimer. Ein Ausschnitt aus ihrer gelebten Praxis, denn sie tanzt tagtäglich. Für den Filmemacher, Kulturtheoretiker und Kunsthistoriker Manthia Diawara sind senegalesische Rituale neu, er wuchs in Mali auf und studierte in Europa. In einem Dorf nahe Dakar verschafft er sich ein Bild des Ndeup-Tanzes, der dort von großer Wichtigkeit für die Gemeinschaft ist und dem eine therapeutische Wirkung zugesprochen wird. In langen Einstellungen lässt er uns eintauchen in die Ideen von Spiritualität, Trance und Heilung, die sich in den Tanzperformances ausdrücken.
Die Tänze stehen in seinem Film jedoch nicht für sich, sondern rücken ins Zentrum philosophischer Fragen, die er in seinem Film mit internationalen Denker*innen angeregt diskutiert: Wenn die technologische Entwicklung immer weiter voranschreitet und bald Algorithmen viele Abläufe der Welt mitbestimmen, wird damit ein wachsendes Bedürfnis nach Spiritualität und körperlichen Wissensformen einhergehen? Und liegt in Kulturen jenseits westlicher Industriestaaten, Universitäten und Konzerne der Schlüssel, um die Zukunft lebenswerter zu machen? Welche Machtinteressen verfolgen Firmen, die mit ihren Algorithmen das Leben aller Menschen beeinflussen wollen? Und welche Theorien, welche Wissensformen sind notwendig, um zu begreifen, wie ein Algorithmus lernt? Manthia Diawara kennt die Antworten auf diese Fragen nicht, deshalb setzt er sich vor die Kamera, um mit Gästen darüber zu diskutieren. Ein Essayfilm, der im besten Sinne klassisch ist, unprätentiös und geduldig, getragen von einer ansteckenden Lust am Denken und Diskutieren, frei und leichtfüßig wie ein Tanz. (Dennis Vetter)