Zur Permanenz extrem rechter und neonazistischer Gewalt in Deutschland gehört das ebenso kontinuierliche Mantra, Ursachen und Täter*innen seien am „Rand der Gesellschaft“ zu suchen. Dabei hat, ganz im Gegenteil, seit den Pogromen der Nachwende-Jahre eine schleichende Akzeptanz rassistischer und deutschnationaler Denkmuster bei großen Teilen der Gesellschaft stattgefunden, sodass aktuell eine Regierung, die mit liberalen Versprechungen angetreten ist, national-opportunistische Migrationspolitik und Abschiebezentren salonfähig macht. Aber Blick zurück in die 90er Jahre: 1993 kamen mit Winfried Bonengels „Beruf: Neonazi“ und Thomas Heises „Stau – Jetzt geht's los“ zwei Filme in die Kinos, die maximal unbequem waren, weil sie Neonazis zu Wort kommen ließen. Den Bildern von grölenden Mobs traten somit solche von eloquenten Menschen zur Seite, die sich mehr Gedanken machten, als einem lieb war. Obwohl er für „Stau“ von vielen als „Sympathisant“ tituliert wurde, ließ Thomas Heise nicht ab von seinem Thema, besuchte seine Protagonist*innen in Halle-Neustadt 1999 erneut und drehte mit NEUSTADT (STAU – DER STAND DER DINGE) eine Fortsetzung, in der das Anfangsthema des „Abdriftens“ nach rechts bereits überholt scheint. Denn: „Die Normalität, der Alltag ist weitgehend rechts,“ wie es Heise im Katalogtext zum 17. Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest (2000) nüchtern formulierte. „Erschöpfung war der Grundeindruck in Neustadt. Das war ein erheblicher Unterschied zu 1992. Die Stadt ist abgestürzt. Man spürt die Armut, sehr direkt. Das meint nicht nur fehlendes Geld.“ 2007 erweiterte Heise das Neustadt-Projekt mit „Kinder. Wie die Zeit vergeht“ zu einer Trilogie. Zur Wiederaufführung von NEUSTADT (STAU – DER STAND DER DINGE) wird er zu Gast sein, um über eine filmische Arbeit zu sprechen, die auf geduldige Weise ein gesellschaftliches Scheitern dokumentierte, das bis heute nachwirkt. Ist die Zeit wirklich vergangen? Was ist die Normalität heute?
Konzept und Moderation: Tobias Hering
Zu Gast: Thomas Heise
Das Gespräch findet auf Deutsch statt.