Monitoring – Ausstellung für Medieninstallationen | Treppe 4


(Südflügel, Stellwerk, Reisezentrum neben dem Reisezentrum)

An zwei Haupt- und drei Einzelstandorten, vom KulturBahnhof über die Treppe 4 in der Treppenstraße zum Fridericianum, zeigt Monitoring in diesem Jahr zwanzig Arbeiten internationaler Medienkünstler/innen mit unterschiedlichen Forschungsansätzen. Dabei untersucht die Ausstellung im Kasseler Kunstverein unter anderem Strukturen von Macht und Ausschluss, Ordnung als soziales und ästhetisches Prinzip und damit verbunden die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen künstlerischer Strategien: Wie können historisch besetzte Bilder genutzt werden um neue Zusammenhänge zu erzählen? Wie setzen wir uns visuell mit ideologischen Konstrukten, wie dem der nationalen Identität, auseinander? Wie erzählen wir von dem, was sich einer Bildhaftigkeit entzieht? Und wie können verborgene oder marginalisierte Perspektiven durch künstlerische Prozesse sichtbar gemacht werden? Durch die Auseinandersetzung mit Archiven, Technologien und Praktiken ästhetischer Normierung, und auf den Spuren gewaltvoller Rhetoriken, nähern sich die Installationen auf unterschiedliche Weise diesen Fragestellungen. Dabei werden verschiedenste Schauplätze untersucht: die Treffpunkte einer neurechten Bürger/inneninitiative, Sarajevo zur Zeit der Belagerung, das Büro eines früheren UN-Generalsekretärs und die Vorgärten einer deutschen Kleinstadt. Ebenso ein Zustand der permanenten Erschöpfung und solche Orte, die auf keiner Karte zu finden sind und ein Außerhalb „unserer“ Welt markieren. Im Sprechen, Singen, Übersetzen, Neuordnen und Abreißen werden politische, historische und mediale Zusammenhänge aufgearbeitet und dekonstruiert – oder tatsächlich zum Einsturz gebracht. Aber können radikale, emanzipative Strategien innerhalb des sogenannten Kunstmarktes überhaupt existieren, oder werden sie letztlich immer von Mechanismen der Optimierung und Vermarktung geschluckt? Was bedeutet es, heute als Künstler/in zu arbeiten und Bilder zu produzieren? Immer mehr Menschen verdienen ihr Geld damit, Inhalte zu generieren. Die Ausstellung im KulturBahnhof beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Begriff der Arbeit und seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen. In welchen ökonomischen Systemen bewegen wir uns? Ob Marktwirtschaft oder Aufmerksamkeits-Ökonomie, Sex-Arbeit oder Kunsthandel – Arbeit steht in einem engen Verhältnis zum Begriff der Identität, aber auch zu Begehren und Konsum, dem zeitgenössischen Kult um Oberflächen, Objekte und Personen. Die Grenzen zwischen Arbeit und Konsum verschwimmen in sogenannten „bezahlten Partnerschaften“ auf den Plattformen der sozialen Medien. Der vermeintliche Glamour erfolgreicher Produzent/innen und Performer/innen wird an den Stellen enttarnt, an denen die prekären Verhältnisse und der Wahnsinn ständiger Produktivität sichtbar werden. Die ewigen, nicht enden wollenden Prozesse verdichten sich hier zu einem mal manischen, mal resignierten Sprechen, Stampfen und Schreddern. Arbeit kann auch bedeuten, sich durch die riesige Sammlung von Bildern zu kämpfen, die bestimmte Vorstellungen von Schönheit, Erfolg und Heteronormativität konstituieren. Oder durch das enorme und komplexe Archiv einer eigenwilligen Schriftstellerin. Unvermeidbar erscheint die Frage, ob und wie uns virtuelle Assistent/ innen entlasten können. Aber wie gehen wir mit simulierten Personen um? Und was sagt es uns, dass sich Formen von Diskriminierung längst auch gegen Algorithmen und Roboter richten? Auf der Suche nach einer selbstbestimmten Existenz stoßen die „female impersonators“*, Assistentinnen und Care-Arbeiterinnen, an unterschiedlichste Grenzen: Sexismus, eingeschränkte Kommunikationsfähigkeiten, Krankheit und hohe Provisionen auf Onlineplattformen. Wie können wir in alldem widerständige Strategien entwickeln? Wie können wir Nischen und Freiräume zurückerobern und neu besetzen? Eine unüberwindbare Müdigkeit setzt ein. Eine Müdigkeit als einzig mögliche Antwort auf den Leistungszwang und den niemals endenden Newsfeed. Zurück im Kunstverein stellt sich die Frage: Ist Schlaf längst Teil von Arbeit und wird als unabdingbarer Prozess zur Regenerierung der Arbeitskraft kalkuliert und missbraucht? Oder können wir uns im Schlaf, im Nichtstun entziehen und verweigern, und so einen utopischen Zustand behaupten? *„Female impersonator“ bezeichnete ursprünglich einen männlichen Darsteller, der eine weibliche Rolle spielte. Im Kontext von künstlicher Intelligenz und virtuellen Assistent/innen beschreibt er das Imitieren von weiblichen Stereotypen durch die Stimme oder das Erscheinungsbild.  

Erscanne dich selbst 2.0

Wie wäre es, wenn wir uns in einem Computerspiel nicht durch eine fiktive Welt bewegen würden, sondern stattdessen in eine 3D-Welt eintauchen, die eine Spiegelung unserer wirklichen Umgebung vor Ort darstellt? Ein Experiment, welches spätestens seit 1999 populär wurde – damals veröffentlichte die Valve Corporation den ersten kostenlosen Level-Editor für Half-Life. Das Projekt ERSCANNE DICH SELBST 2.0 greift diese Idee mit einem 3D-Model des KulturBahnhofs auf. Dabei tritt ein Scanverfahren an die Stelle der reinen Rekonstruktion. Mit dem sogenannten „Structure Sensor“ 3D-Scanner, der Formen und Texturen gleichzeitig aufzeichnet, entstehen Landschaften und Räume voller digitaler Artefakte (Glitches), die ihre eigenen Reize entwickeln. Die zentrale Idee des Projektes ist – wie der Titel andeutet – die Aufforderung an die Betrachter/innen, sich selbst mit dem gesamten Körper vor den Scanner zu stellen, um anschließend mit dem eigenen Charakter Teil des Spiels zu werden. Auf diese Weise wächst die „Bevölkerung“ des Spiels im Verlauf der Ausstellung. Aus den Betrachter/innen werden Mitspieler/innen, die in der virtuellen Gemeinschaft der Game-Charaktere bis zum Ende des Projekts erhalten bleiben. In Zeiten eines wachsenden Bewusstseins für die Bedeutung des Datenschutzes stellt sich natürlich auch die Frage nach der Legitimität der Preisgabe eines Ganzkörperscans für ein Kunstprojekt. Das Team bestehend aus Jan Reuter, Luna Hirt und Stefan Kreller begegnet dieser Problematik mit einem spielerischen Konzept: Die Mitspieler/innen inszenieren sich spontan und improvisiert so vor dem Scanner, dass wichtige Persönlichkeitsmerkmale frei nach den eigenen Wünschen verdeckt sind. Die Verfremdung fördert gleichzeitig meist eine intensivierte Selbstdarstellung. In Verbindung mit dabei auftretenden Glitch-Effekten entwickelt sich eine temporäre Gemeinschaft, die mit ihren „Mutationen“ als Gegenentwurf zur Gesellschaft außerhalb des Games verstanden werden könnte. Der unerschöpfliche Fluss unseres zwischenmenschlichen Austausches, der sich aus der Pluralisierung sozialer Lebenswelten ergibt, kennzeichnet eine Spaltung der Individuen in Teilexistenzen. Im Spiel kann mit einer einfachen „Berührung“ jeder Charakter gewechselt werden. Identität generiert sich in den neu gewonnen surrealen Freiräumen des Games und im fließenden Rollentausch als eine sozial transgressive Form von Gemeinschaft, in der es darauf ankommt, was die Spieler/innen daraus machen.… >>>

  • Dauer: Umwandlung des eigenen Characters: 15 Min.
  • Regie: Luna Hirt,Stefan Kreller,Jan Reuter