Werkschau Kasseler Filmkollektiv
Programm 3 – Das Andere Kino


(kleines BALi)

Als „Das Andere Kino“ bezeichnete sich die filmische Oppositionsbewegung in der BRD, die ab 1968, nach dem Vorbild des amerikanischen Undergroundfilms, eigene Verleihstrukturen aufbaute für ihre meist experimentellen, nichtnarrativen Filme. Über dieses Vertriebssystem – in erster Linie die Hamburger Filmemacher Cooperative – zirkulierten auch die Filme, die am Dörnberg entstanden. Adolf Winkelmann zählte hier neben Werner Nekes, Hellmuth Costard und Lutz Mommartz zu den bekanntesten und meist „gebuchten“ Autoren. Dennoch wurden viele Filme, die im Kontext des „Anderen Kinos“ entstanden, am Dörnberg kritisch beurteilt, entweder wegen ihrer allzu reibungslosen Vereinnahmung durch den Kulturbetrieb, oder wegen ihres vermeintlich verfehlten Ansatzes bei der Verwirklichung politischer Intentionen. Anfang 1969 veröffentlichte Christian Rittelmeyer, seit 1966 regelmäßiger Mitarbeiter am Dörnberg, in der Hamburger Filmemacherzeitschrift „Filmartikel“ einen Beitrag mit dem provokanten Titel „Undergroundfilme als Faschingsdekoration?“, der – mit Bezug auf Adorno – die gesellschaftliche Wirkung des „Anderen Kinos“ eher skeptisch analysierte. Auf diesen Artikel war der WDR-Redakteur Reinold E. Thiel aufmerksam geworden. Die dreiteilige Dokumentation DAS ANDERE KINO, die Rittelmeyer daraufhin zusammen mit Adolf Winkelmann und dem Kasseler Filmkollektiv realisieren konnte, lässt ihre kritische Haltung erkennen und ist ein spannender Versuch des Kasseler Kollektivs, sich im Fernsehformat auszudrücken. Der Dreiteiler gibt einen ausgezeichneten Überblick über die junge, unabhängige Filmemacherszene in der BRD und Westberlin und die in ihr bestehenden Diskrepanzen. Die erste Folge verbindet Filmausschnitte und Interviews mit den Hauptvertreter/innen der Bewegung: den Kölner Experimentalfilmer/innen Birgit und Wilhelm Hein, den Hamburger Filmmacher/innen Werner Nekes, Dore O., Hellmuth Costard und Kurt Rosenthal, sowie dem Düsseldorfer Lutz Mommartz. Hellmuth Costard, der von Rittelmeyer in dem oben erwähnten Artikel wegen seines Films „Besonders wertvoll“ gezielt kritisiert worden war, versucht im Zwiegespräch seinen Kontrahenten auflaufen zu lassen. Am Beispiel der Hamburger Filmmacher Cooperative und der Kölner Xscreen-Gruppe werden die Vertriebsmöglichkeiten der Filme erläutert. Die zweite Folge untersucht anhand von Befragungen im Hochschulkino im Hörsaal der Kasseler HbK, inwieweit die gesellschaftskritischen Intentionen der Filmemacher/innen das Publikum erreichen. Die von dem Studenten Kurt Johnen organisierten und moderierten Filmevents zeigen die sehr unterschiedlichen Erwartungen, mit denen „Das Andere Kino“ konsumiert wurde. Am Beispiel des Münchener Filmgaleristen Hein, der die Filme des „Anderen Kinos“ als „Knüller“ bewirbt und vertreibt, zeigt Rittelmeyer, wie das kommerzielle Prinzip auch in der Aufführungspraxis der „unabhängigen“ Arbeiten angelegt ist. In der dritten Folge wird am Beispiel eines Agitationsfilms aus Berlin der Versuch gezeigt, Arbeiter/innen zur Solidarität im Klassenkampf aufzurufen. Das Kasseler Filmkollektiv berichtet von seiner Arbeit mit Lesern/innen von Groschenromanen, die das Geschehen eines Romans nachspielen, um so Einsicht in die gesellschaftliche Funktion der Trivialliteratur zu erreichen (s. VERTRAUENDE LIEBE – GLÜHENDER HASS, Programm 1). Bazon Brock lässt Seminarteilnehmer/innen vor der Kamera medial vermittelte Bilder und Verhaltensweisen imitieren, um so den normativen sozialen Druck konkret sichtbar zu machen.

Zu Gast sind Christian Rittelmeyer und Adolf Winkelmann.

Das Andere Kino (Tendenzen im deutschen Untergrund / Was ist anders am anderen Kino? / Filme für Zielgruppen) Adolf Winkelmann, Buch: Christian Rittelmeyer / DE 1969 / 90 Min.