Werkschau Kasseler Filmkollektiv
Programm 4 – Proletarische Erziehung


(kleines BALi)

Mit der Heftromanverfilmung VERTRAUENDE LIEBE – GLÜHENDER HASS (siehe Programm 1) hatte sich das Kasseler Filmkollektiv erstmals an einem Zielgruppenfilm versucht und sich dabei an Seminartechniken aus dem Repertoire des Jugendhofs Dörnberg orientiert, vor allem dem Rollenspiel. Das Konzept „Zielgruppenfilm“ hatten bis dahin hauptsächlich die von der West-Berliner dffb relegierten Filmstudenten entwickelt und propagiert. Der Austausch mit Harun Farocki und Hartmut Bitomsky, die ab 1969 auf dem Dörnberg häufiger politische Seminare durchführten, sowie mit Gerd Conradt und Katrin Seybold vom „Kollektiv Westberliner Filmarbeiter“, hatte nun auch häufigere Gegenbesuche des Kasseler Filmkollektivs in Berlin zur Folge. Jutta Winkelmann und Gisela Büttenbender lösten sich dort vom Kollektiv (und von ihren Ehemännern), schlossen sich der Kommunebewegung an und widmeten sich dem Aufbau der Jugendorganisation der KPD/ML. Gerhard Büttenbender und Adolf Winkelmann gingen ihrerseits mit ihren beiden letzten gemeinsam gedrehten Filmen zu eindeutigeren Formen der politischen Agitation über. „Worin unsere Stärke besteht“, 1971 Preisträger bei der Internationalen Filmwoche Mannheim, dokumentiert den Verlauf eines von einem Team linker Pädagog/innen konzipierten Lehrgangs, der Hauptschüler/innen auf die Arbeitswelt vorbereiten sollte. Das Rollenspiel sah vor, dass die Jugendlichen mehrere Vormittage in einem Fabrikmodell arbeiteten, das im großen Saal des Jugendhofs am Dörnberg aufgebaut worden war. Die Rollen der Betriebsleitung wurden von den Pädagog/innen übernommen, die durch gezielte und manipulative Interventionen die Interessenskonflikte zwischen Firmenleitung und Arbeiter/ innenschaft verstärkten, um die Jugendlichen dazu zu bringen, eigenständig zum Kampfmittel des organisierten Streiks zu finden. Der Film wurde in der Folge häufig an Schulen, in politisch organisierten Gruppen, in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit und an Universitäten und Hochschulen gezeigt und diskutiert. Im Verlauf wurde eine eingehende Kritik des Modells erarbeitet und publiziert. STREIK BEI PIPER & SILZ setzt sich auffällig von allen bisherigen Filmen des Kollektivs ab und erzählt im Stil des Sozialistischen Realismus eine Episode aus der Zeit der Ruhrkämpfe und der Inflation: Als im Mai 1923 fünfzig Arbeiter/innen der Maschinenfabrik Piper & Silz entlassen werden, solidarisiert sich die Belegschaft – dank der Kampagne der kommunistischen Betriebszelle – mit ihnen und erzwingt ihre Wiedereinstellung. Vorbild für diesen Spielfilm, an dessen Konzeption Katrin Seybold entscheidend mitwirkte, war die Peking-Oper „Das Rote Frauenbataillon“ von Jin Xie (VR China, 1961). Mit einem positiven Arbeiterhelden, dem Schlosser Wilhelm Kramer, dem ein korrupter Betriebsratsvorsitzender gegenübersteht, wollte das Kasseler Filmkollektiv eine proletarische Ästhetik entwickeln, die bestärkend auf das soweit noch vorhandene Klassenbewusstsein in der BRD einwirken sollte. Der Film wurde seinerzeit in der Filmszene als „SülzOper“ und „Proleten-Hollywood“ beschimpft und kostete Gerhard Büttenbender endgültig seine Stellung am Dörnberg. Für Adolf Winkelmann leitete er den Übergang von der experimentellen Arbeit zum Spielfilm ein. 

Worin unsere Stärke besteht / Gerhard Büttenbender, Adolf Winkelmann / 54 Min. 

Streik bei Piper & Silz / Gerhard Büttenbender, Adolf Winkelmann / 31 Min.

(2 Filme, 85 Min.)

Zu Gast ist Adolf Winkelmann.