Das Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest präsentiert seit 2014 jährlich ein internationales Filmfestival, um den Brückenschlag zu anderen Festivals zu dokumentieren, die mit einer ähnlichen Ausrichtung und mit der gleichen Leidenschaft ihre Programme zusammenstellen. ARKIPEL – Jakarta International Documentary & Experimental Film Festival zeigt neben aktuellen und historischen Arbeiten aus Indonesien und dem Rest der Welt Programme internationaler Gastkurator/innen. Die ausgeprägte kuratorische Handschrift verbindet ARKIPEL mit dem Kasseler Dokfest ebenso wie ein Bewusstsein dafür, dass Filmschaffen abseits industrieller Strukturen mehr denn je auf Räume angewiesen ist, in denen ein kritischer Diskurs stattfindet. Jede Ausgabe von ARKIPEL trägt einen Titel, der den Rahmen für die Filmprogramme und Gesprächsformate setzt. 2019 stand unter dem Titel „Bromocorah“ – der sozialen Außenseiter/in, die für die Konstitution des „Normalen“ einer Gesellschaft unverzichtbar ist.

Indonesien war eine der ersten Regionen Asiens, die im späten 19. Jahrhundert das neue Medium Film kennenlernte. Die ersten Filme stammten von dem französischen Fotografen Louis Talbot, dessen Straßenszenen von Jakarta durch ihn selbst in Indonesien entwickelt worden waren. Nach der Unabhängigkeit Indonesiens, zwischen 1945 und 1949, vollzog Usmar Ismail einen wichtigen Sprung, als er mit der Produktion des Films „The Long March“ (1950) die Identität Indonesiens im Kino herausstellte. In der revolutionären Zeit nach der Unabhängigkeit haben Filmemacher/innen wie Usmar Ismail, Dr. Huyung und Bachtiar Siagian versucht zu formulieren, was das indonesische Kino ausmacht – durch ästhetische Experimente der Kinosprache und ein „Ortsbewusstsein“ in ihren Bildern, nicht nur in Spielfilmen, sondern auch in dokumentarischen Formaten. Das Filmfestival ARKIPEL wurde 2013 vom Kollektiv Forum Lenteng ins Leben gerufen. Die Agenda des Festivals ist es zu verdeutlichen, wie globale Phänomene im sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontext durch das dokumentarische und experimentelle Kino gelesen werden können. Beim Experiment im Kino geht es nicht allein um künstlerische Absichten – es hat auch eine politische Dimension.

Die sechs Filme dieses Programmes sind eine Einführung in die experimentellen Praktiken des indonesischen Kinos der letzten drei Jahre. Politische Themen im Kino-Experiment werden in den Filmen ADEGAN YANG HILANG DARI PETRUS DRAFT #4 und INTO THE DARK gezeigt. Die „Initiative Petrus“ war in den 80er Jahren ein Versuch des Regimes von Präsident Soeharto, das Verbrechen zu bekämpfen, indem es geheime Erschießungskommandos einsetzte, um Kriminelle ohne Gerichtsverfahren zu töten. Arief Budimans Film zeigt das Konzept einer Filmidee mittels der Offstimme eines Bandenmitglieds. In INTO THE DARK präsentieren die Regisseur/innen die Erfahrungen entführter Aktivist/innen, die die Reisfelder der Bewohner/innen von Garut, West-Java, verteidigt hatten. SAPU ANGIN / WINDSWEPT, PAGI YANG SUNGSANG und RIMBA KINI problematisieren öffentlichen Raum und die Existenz anderer Lebewesen neben den Filmemacher/innen. PAGI YANG SUNGSANG zeigt die sinnliche Erfahrung eines Marktes und der verschiedenen Aktivitäten seiner Subjekte. Ein Müllbagger führt das Publikum durch enge Gassen und Menschenmassen tiefer in die Routine des Marktes. SAPU ANGIN / WINDSWEPT überträgt die Aufgabe der Bildaufzeichnung an eine Brieftaube und kartiert die Fragmentierung des öffentlichen Raumes in der Stadt Surabaya durch Bautätigkeiten in Wohngebieten. In einer Zeit, in der Bildaufnahmetechnik und Kenntnisse ihrer Anwendung gängig und weit verbreitet sind, initiiert RIMBA KINI einen Austausch von Blicken und Fragen zwischen Filmschaffenden und ihren Subjekten. CUT zeigt Filmmaterial, das als Medium der Interaktion zweier Liebender mit ihren persönlichen Erinnerungen verarbeitet und gerahmt wird.

Vorgestellt von Yuki Aditya.