In tiefer Verbundenheit und mit großer Anteilnahme möchten wir an Rotraut Pape erinnern, die das Kasseler Dokfest als langjährige Wegbegleiterin und Freundin maßgeblich mitgeprägt hat. 2016 erhielt Sie für Ihr Schaffenswerk unseren Ehrenpreis. In Anlehnung an eines ihrer zentralen Videos sagen wir: Du hattest immer ein Herz für uns und das werden wir nicht vergessen!
Katalogtext von 2016:
"Eines der erklärten Ziele des Kasseler Dokfestes ist die Verschränkung von regionalem mit internationalem künstlerischen und filmischen Schaffen in allen Festivalsektionen. Unser Konzept der Gleichrangigkeit ist einzigartig und von großer Wichtigkeit als Impulsgeber und Kommunikationsort für die heimische Szene. Das Werk und das Wirken von Rotraut Pape knüpft daran an: Seit 1990 ist sie mit eigenen Werken immer wieder auf dem Kasseler Dokfest vertreten, als Professorin in Offenbach ermutigt sie seit über 15 Jahren ihre Studierenden zur Festivalteilnahme in Kassel, als Mitgründerin des Hessischen Hochschulfilmtages ist sie treibende Kraft für die Promotion von hoffnungsvollen Talenten und als Netzwerkerin und Ideengeberin bringt sie immer wieder internationale Künstler/innen nach Kassel.
Das medienkünstlerische Schaffen von Rotraut Pape bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Film- und Videokunst, Performance und Installation. Sie interessiert sich in besonderem Maße für technische Neuerungen, stellt beispielsweise computertomographische Bilder für ihre Videos und Installationen her, entwickelt künstlerische Projekte für das 360° Fulldome-Format in Planetarien oder für Oculus Rift mit Studierenden der HfG Filmklasse und anderer Hochschulen in Hessen. Pape befasst sich seit Beginn der achtziger Jahre mit popkulturellen Phänomenen, den Sprachmustern in Fernsehserien, dem Freizeitverhalten, der Clubkultur, deren Strukturen sie analysiert, paraphrasiert und erzählerisch neu montiert.
Mit Kassel ist Pape schon seit langem eng verbunden. Bei der documenta 8 ist sie 1987 mit einer Performance ihrer Hamburger Gruppe M. Raskin Stichting Ens. vertreten. Ihre Film- und Videoarbeiten werden immer wieder beim Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest gezeigt. 1998 ist eine umfassende Werkschau in zwei Programmen von ihr zu sehen, insgesamt 24 Filme aus über zwanzig Jahren. Als Kooperation des Festivals mit dem Kasseler Kunstverein wird parallel dazu im Fridericianum eine Einzelausstellung mit Videoinstallationen gezeigt. Die besondere Bedeutung, die das Dokfest dem Schaffen Papes beimisst, zeigt sich auch darin, dass sie als einzige Künstlerin auf beiden Jubiläums-DVD-Editionen (2003 und 2008) vertreten ist. Papes Langzeitforschungsprojekt zum Verschwinden der Berliner Mauer wird 2009 in einer ersten 20minütigen Vorversion im Rahmen der Ausstellung Monitoring gezeigt. Anlässlich der Auszeichnung Rotraut Papes mit dem Ehrenpreis des Festivals wird jetzt die fertig gestellte, vorerst finale, zweistündige Version dieser Arbeit im Kasseler Hauptbahnhof gezeigt. Pape beschreibt die Mauer als „weltweit größte Medienwand“. Auf 15 Bildern ist parallel zu sehen, wie sie immer wieder einen bestimmten Streckenabschnitt der Berliner Innenstadt-Mauer entlang läuft und dabei ihr Verschwinden und die Veränderungen im urbanen Raum aufnimmt.
Aber nicht nur die Künstlerin selbst, sondern auch viele Filme und Medienarbeiten von Studierenden, die sie als Professorin an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach seit 2001 betreut, werden vom Kasseler Dokfest präsentiert. Pape engagiert sich für den filmischen Nachwuchs, ist Mitbegründerin der hessischen Film und Medienakademie (hFMA) und des Hessischen Hochschulfilmtages, der seit 2009 fester Bestandteil des Festivalprogramms in Kassel ist, und daher jedes Jahr auf die eine oder andere Weise aktiv am Festivalgeschehen beteiligt.
Papes Vita ist geprägt von Kooperationen und medienkünstlerischer Forschung. Um an der Hochschule für Bildende Künste zu studieren, geht sie 1975 von Berlin nach Hamburg. Unschlüssig über die Möglichkeiten der Malerei kommt sie zum Medium Video, das zu dieser Zeit noch von großen, schwer handhabbaren Geräten bestimmt wird. Da Schnitte kaum möglich sind, verzichtet sie darauf und inszeniert stattdessen ein bewegtes Geschehen vor der Kamera, das sie in Realtime aufnimmt. Die HfBK Hamburg ist zu dieser Zeit der einzige Standort für Experimentalfilm in Deutschland. Rüdiger Neumann, der den Studiengang gegründet hatte, wird auf die Studentin aufmerksam und unterstützt sie. Pape macht schnell geschnittene 16mm Filme, zeigt sich jedoch unbefriedigt mit der individualistischen Arbeitsweise von Künstler/innen. Um diese Isolierung aufzubrechen, gründet Pape zusammen mit ihren Kommiliton/innen Andreas Coerper, Elisabeth Fiege, Oliver Hirschbiegel und Kai Schirmer 1981 die Performancegruppe M. Raskin Stichting Ens. Zum Teil finden die Performances auf Baustellen und in besetzten Häusern statt aber auch schon bald bei internationalen Performancefestivals. Das Medium Video wird dabei zunächst vor allem zu Dokumentationszwecken eingesetzt, gewinnt mit den Jahren aber zunehmend eigenständig an Bedeutung.
Neben der eigenen Arbeit setzt Pape die kooperative künstlerische Praxis fort. Anfang der achtziger lernt sie den ungarischen Filmemacher Gábor Bódy kennen, der das erste internationale Magazin auf Videokassetten initiiert, das sich der experimentellen Film- und Medienkunst widmet, Pape (mit Hirschbiegel) gibt die 2. Edition heraus und begleitet weitere Ausgaben von Infermental. Auch in Lyon, wo Pape an Produktionen des Frigo beteiligt ist, spielen gemeinschaftliche Arbeitsformen eine zentrale Rolle. Die ehemalige Käserei versteht sich unter anderem als Kunst-Laboratorium, intermedialer Raum mit Videogalerie, Radiostation, Künstler/innenresidenz im internationalen Austausch. Anfang der neunziger Jahre und angesichts der veränderten Situation nach der Wiedervereinigung Deutschlands geht Pape nach Berlin zurück. Hier verfolgt sie einerseits ihr Projekt zur Berliner Mauer und produziert im Team von Turner&Tailor andererseits Fernsehbeiträge über die boomende Clubkultur der Hauptstadt, deren anfänglich subkulturelles Selbstverständnis bald in kommerzielle Strukturen umschlägt: Techno, HipHop oder Punk.
Rotraut Pape ist für das Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest als Künstlerin, die im Bereich Film und Video immer wieder neue Wege beschreitet, und als Partnerin, sowohl beim Aufspüren neuer Strömungen als auch bei der Entwicklung neuer Formate, seit vielen Jahre eine unverzichtbare Größe."