„Sie haben jede unserer Freundschaften zu einem verdächtigen Kontakt uminterpretiert und fantasieren sich ein ganzes internationales kriminelles Netzwerk zusammen – auf Grundlage der Leben, die Sie über zehn Jahre lang ausspioniert und beschattet haben.“ Manon Gilbert übt ihr Statement immer und immer wieder. Sie ist eine der Angeklagten im so genannten „Fall Tarnac“, der in Frankreich seit 2008 Schlagzeilen machte. In einer großangelegten Polizeiaktion stürmten hunderte Gendarmen Wohnungen und Häuser, um angebliche linksradikale Anarchist*innen, Terrorist*innen dingfest zu machen. Sabotage von Schnellzugtrassen als Protest gegen Atommülltransporte wird ihnen vorgeworfen. Von Anfang an ist die Beweislage dünn und doch beginnen nach den Verhaftungen die juristischen Mühlen ihre Arbeit. Audrey Ginestets Film setzt kurz vor dem anstehenden letzten Prozess gegen die „Tarnac-Gruppe“ ein, mitten in den Vorbereitungen für die Verhandlung. Die Angeklagten üben ihre Erklärungen und ihr Verhalten in Kreuzverhören ein, gemeinsam mit Anwält*innen und den anderen Beschuldigten. Ihr gemeinsames Ziel ist es, die Vorwürfe als Fiktionen und Fantasien der Ermittlungsbehörden zu entlarven, ein für alle Mal. Ginestet gelingt es, der existenzbedrohenden Maschinerie des professionalisierten Rechtssystems Bilder der praktischen Solidarität entgegenzusetzen. Die Kälte des Systems gegenüber den vermeintlichen Terrorist*innen kontert sie mit der offensichtlichen Wärme, die aus der Beziehung der Familien, Freund*innen und politischen Genoss*innen zueinander spricht. Denn eben diese Verbindungen sind es, die die Vorwürfe zu zerstören drohen, in die Misstrauen gestreut werden soll, um Aussagen zu erzwingen. RELAXE ist ein durch und durch politischer Film, der seinen Kern in den Beziehungen zwischen Menschen findet, die einem monolithischen System gegenüberstehen und dem Kampf um die Deutungshoheit über ihre Leben nicht ausweichen. (Jens Geiger-Kiran)