Vor Zeit

Juliane Henrich bringt ihr Publikum nach Oberschlesien, in eine ländliche Gegend des heutigen Polen, aus der ihr Großvater stammt. Für ihre persönliche Stammbaumforschung wählt sie ein Alter Ego, eine junge Frau, die uns als Guide in der Fremde begleitet, und die sich in der Landessprache notdürftig mit den Menschen vor Ort verständigen kann. Langsam tasten wir uns mit ihr vor und zugleich zurück, entrollen die Geschichte eines Landstrichs, der lange zu Deutschland gehörte, dessen Bevölkerung jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg durch Vertreibung und Zwangsumsiedelungen ausgetauscht wurde. Krasiejów ist das Städtchen, das früher einmal Schönhorst hieß, und in dem der Großvater der Regisseurin als Organist und Standesbeamter arbeitete. Die Häuser sind aus roten Ziegeln gebaut, die aus der ortsansässigen Tongrube stammen. Knochen von Urzeitwesen, die bei Ausgrabungen noch heute im Lehm gefunden werden, haben dem Ort einen paläontologischen Vergnügungspark mit Erlebnismuseen und Badesee beschert, und jedes Jahr eine Welle von Kindern, die über die Evolution des Menschen staunen. Die riesigen Kunststoffdinosaurier sind von weitem in der Landschaft zu sehen. Die junge Frau durchstreift die Gegenwart und driftet ab in verschiedene Schichten der Vergangenheit. Nur etwa eine halbe Autostunde entfernt stolpert sie über die Ruinen eines gigantischen Amphitheaters, das die Nazis zur Erinnerung an die schlesischen Aufstände von 1919–1921 errichteten. Wie lassen sich die Beobachtungen in dieser Gegend, in der sich auf wenigen Quadratkilometern die Menschheitsgeschichte drängt, zusammendenken? Grenzen haben sich verschoben wie die Wasserkante am Strand und eigentlich kommt ursprünglich fast nichts von dem Ort, an dem man es findet. Die nachdenkliche Reise kulminiert in den frühen Morgenstunden nach einer durchtanzten Nacht auf dem lokalen Volksfest mit einer großen Frage. (Christina Zimmermann)… >>>