Feast
TW: Dieser Film enthält die explizite Darstellung oder Erwähnung körperlicher, seelischer oder sexualisierter Gewalt. Kondome, Drogen, Kuschelrock-CDs, Sexspielzeug und Spritzen: Stoisch präsentiert eine vermeintliche Justizbeamtin relativ zu Beginn von FEAST in elegischer Länge Asservate, Requisiten eines Verbrechens, das in den frühen 2000er Jahren die Niederlande erschütterte. Drei Männer wurden für schuldig befunden, während Sexparties zwölf andere Männer unter Drogen gesetzt und ihnen HIV-positives Blut injiziert zu haben. Diesen realen Kriminalfall setzt Tim Leyendekker ins Zentrum eines Films, der allen Konventionen, auch und gerade denen des Dokumentarischen, zu spotten scheint. Er verwebt Protokolle aus Befragungen von Tätern und Opfern mit Platons Ideen zum Eros zu einem hochgradig hybriden, fast durchgängig inszenierten Werk in sieben Vignetten. Neben Spielszenen, die die Aussagen der Beteiligten inszenieren und Sequenzen, die philosophische Reflexionen über die reine Liebe und die Furcht vor dem Tod bebildern, werden auch die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Verhalten von Tulpen bei viralen Erkrankungen präsentiert – worauf auch das diesjährige visuelle Leitmotiv des Festivals verweist. Leyendekker öffnet ein diffuses Diskursfeld zwischen Vorstellungen von Liebe und Besitznahme, sexuellem Einvernehmen und gewalttätigem Übergriff, Norm und Devianz, Pathologisierung und Infektiosität, Verschmelzung und Immunisierung. Das Ergebnis ist eine Verstörung, die ihr Publikum herausfordert und ganz bewusst ein Spannungsverhältnis zwischen reflexhafter Ablehnung und fasziniertem Nicht-Wegschauen- Können erzeugt. Die Haltung des Films bleibt unklar: Bietet er einer Täterperspektive zu viel Raum oder versucht er zu verstehen, wie sich in diesem konkreten Verbrechen gesellschaftliche Diskurse verdichten? Konfrontiert er sein Publikum mit dessen voyeuristischen Reflexen oder bedient er diese nur? (Jens Geiger)… >>>
- Dauer: 84 Min.
- Regie: Tim Leyendekker