Esquirlas
Am 3. November 1995 ist Natalia Garayalde 12 Jahre alt. Schon seit Langem bannt sie ihre Umwelt auf VHS-Kassetten und dreht mit der Videokamera ihres Vaters spielerische Kurzfilme, inszeniert sich als Reporterin und wird zur allgegenwärtigen Chronistin der Familie. Es ist ein liberales, bürgerliches Umfeld, das sich in den Aufnahmen von damals präsentiert: Die Mutter Lehrerin, der Vater Arzt, die beiden großen Schwestern verehrte Heldinnen, der kleine Bruder treuer Gehilfe in der Filmproduktion. Sie leben im argentinischen Río Tercero, wie alle Einwohner*innen im Schatten der örtlichen Kriegswaffenfabrik. An diesem Tag im November ändert sich mit einer riesigen Explosion alles: Granatsplitter regnen auf die Stadt, Bomben explodieren und legen alles in Schutt und Asche. Das bis dahin passive Zeugnis eines militärisch-industriellen Komplexes dringt auf brutalste Art und Weise in die Leben, die Häuser und die Körper der Menschen in seinem unmittelbaren Umfeld ein. Natalia und ihre Videokamera werden zu Kriegsberichterstatterinnen aus dem Zentrum einer nationalen Tragödie, der unzählige private, zeitverzögert über die kommenden 20 Jahre, folgen sollten. Es sind beklemmende Bilder, die Garayalde nach 20 Jahren aus dem Familienarchiv ans Tageslicht befördert und zu einer erschütternden, persönlichen und politischen Dokumentation über die Zerstörungskraft der Rüstungsindustrie, Korruption und das Geschäft mit dem Krieg verdichtet. Sie sichtet ihre alten Aufnahmen mit den Augen der Erwachsenen, die sie heute ist und sieht Familienmitglieder wieder, die inzwischen, als direkte Folge der Katastrophe, verstorben sind. Jenseits der Spuren von weißem Phosphor und Ammoniak, die in die Bilder eingeschrieben zu sein scheinen, findet sie eine andere Spur: zu den Hintergründen und den Verantwortlichen der Ereignisse, die alles veränderten. (Jens Geiger)… >>>
- Dauer: 70 Min.
- Regie: Natalia Garayalde