„Ich bin die Wiedergeburt eines frühen Höhlenzeichners“, sagt Harald Wolke, der heute mit 81 Jahren auf Zürichs Sichtbeton Totentanz-Graffitis zeichnet. Dafür hat ihm die Stadt Zürich im letzten Jahr den „Kunstpreis“ verliehen, während ihn der Kanton Zürich wegen Sachbeschädigung verklagte. Das Spannungsfeld zwischen Empörung auf der Seite der Hausbesitzer*innen und Freude bei denen, die den eulenspiegelhaften Schalk seiner strategischen Interventionen im Stadtraum zu schätzen wissen, ist Naegelis Spezialgebiet: Der Urvater der Graffiti-Kunst polarisiert die Gesellschaft mit seinen „Geschenken“ seit den 70er Jahren, als er wegen seiner Sprühzeichnungen mit internationalem Haftbefehl gesucht, von Joseph Beuys unterstützt und dadurch weltberühmt wurde. Die direkte Begegnung mit Harald Naegeli und seiner Philosophie in Nathalie Davids einfühlsamer Hommage wirft Fragen auf, die an Aktualität nichts eingebüßt haben. Wo ist die Grenze der Interessen von Kapital und Kunst? Und wie kann oder muss die*der Einzelne reagieren, wenn diese Grenze überschritten wird? Wie viel Spielraum lassen uns berufliche Rollen oder darf bzw. muss die Kunst bestehende Ordnungen bis zur Anarchie auflösen? Biografisch zeichnet der Film die wichtigsten Stationen in Naegelis Leben nach und zeigt in seinem Schaffen klare Werkreihen auf. Neben den Figuren oder Flamingos im 35 Jahre währenden Düsseldorfer Exil, die am eindrucksvollsten in den Polizeiakten als Tatbestand dokumentiert sind, erleben wir den virtuosen Zeichner in flagranti an einem seiner Lieblingsplätze (nicht weitersagen): Der ETH Parkgarage in Zürich. Auch wenn die Zeichnungen nicht entfernt werden, werden sie mit der Zeit verblassen. Umso wichtiger, dass der Film das humorvolle und unvergessliche Lachen Naegelis konserviert; ein Lachen, das aus der Tiefe seiner Persönlichkeit kommt, so human, dass seine musikalische Wiederholung im Film ein passender Geniestreich ist. (Christina Zimmermann)