Waldheims Walzer
„Waldheim - Nein, Waldheim - Nein!“ skandiert eine Gruppe Demonstrierender 1986 im Zentrum von Wien. Ruth Beckermann war eine der Aktivist/innen, die die Wahl des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kurt Waldheim zum österreichischen Bundespräsidenten verhindern wollten. Sie begab sich mit Kamera und Mikrophon bei Waldheims Wahlkampfauftritten auch in die applaudierende Menschenmenge und damit in die Abgründe der österreichischen Seele. Jahrzehnte später analysiert sie mittels ihrer eigenen Bilder und einer Fülle an Archivmaterial diesen Wendepunkt der österreichischen Nachkriegsgeschichte.
Die Lücken in seiner Kriegsbiografie und die konsequente Auslassung unangenehmer Wahrheiten führten Waldheim in ein Netz aus Lügen, in dem er sich aussichtslos verstrickte. Je deutlicher die Vorwürfe des Jüdischen Weltkongresses zu einer Sensibilisierung der Weltöffentlichkeit führte, desto erfolgreicher erwies sich in Österreich zunächst die Mobilisierung eines dumpfen Wir-Gefühls mit antisemitischen Untertönen. Trotz der Tatsache, dass eine ganze Generation die Wahrheit kannte, war Österreich bis dahin so geschickt wie erfolgreich, sich selbst und der Welt vorzutäuschen, es sei das erste Opfer der Nazis gewesen. Diese Lebenslüge, die in Sonntagsreden, Büchern und Heimatfilmen jahrzehntelang reproduziert worden war, brach nun in sich zusammen. 30 Jahre liegen diese Ereignisse zurück und sind beklemmend aktuell. Sie sind ein Lehrstück über das Schüren von Emotionen, über die Schaffung von Feindbildern und über den medial ausgetragenen Kampf, die Deutungshoheit über die Fakten zu erlangen. Doch letztlich erwies sich der Wahlsieg für Waldheim als Niederlage. Er blieb international isoliert, und das offizielle Österreich öffnete sich einer kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Beckermanns dokumentarischer Essayfilm zeigt also auch, wie gründlich eine wachsame Zivilgesellschaft ein Land verändern kann.… >>>
- Dauer: 94 Min.
- Regie: Ruth Beckermann