Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit


(Filmladen Kassel)

Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit

Corona hat am Beispiel Tönnies ans Licht gebracht, was Leiharbeit eigentlich heißt. Wie Menschen aus Osteuropa, die Fleisch zu Ware verarbeiten, selbst wie Ware behandelt werden. Schon vor der Pandemie hat sich Filmemacherin Yulia Lokshina mit dem Thema auseinandergesetzt – und wurde für ihren eindringlichen Dokumentarfilm Anfang des Jahres mit dem Max Ophüls Preis 2020 ausgezeichnet. „Irgendwo in diesen Schlachthallen hat Stanislav gearbeitet“, erzählt eine Stimme zu Beginn aus dem Off. Eines Tages habe sich sein Kittel in der Maschine verhakt und er sei unter das Band gezogen worden. Sein Kollege, der den Notknopf drückte, konnte ihn nicht retten. Doch wie das Ganze genau geschah, bleibt unklar. Parallel zu dem Schicksal der Arbeiter*innen erzählt der Film – klug montiert – von den Proben einer Gymnasialklasse an Brechts „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“. Dabei geht es jedoch nicht nur darum, ein Stück des Bildungskanons auf die Bühne zu bringen. Vielmehr möchte der junge Lehrer seinen Schützlingen, die allesamt aus gesicherten sozialen Verhältnissen zu stammen scheinen, kritisches Denken in Bezug auf das Wirtschaftssystem näherbringen. Lokshina bringt mit ihrem Film den Wahnsinn einer Industrie ans Licht und den Teufelskreis, in den sich die materiell schwächsten Glieder der Gesellschaft begeben. Wenn zum Beispiel die Unterkunft an den Arbeitsplatz gebunden ist, die die Leiharbeiter*innn verlieren würden, wenn sie ihren Job an den Nagel hingen. Oder wenn der Fall einer Frau rekonstruiert wird, die ihr Kind heimlich in einer Garage bekommen hat. Fast surreal muten die Bilder an, die in Zeitlupe Demonstrant*innen in Schweinekostümen zeigen. Oder die Szenen, in denen Leiharbeiter*innen nachts in die Fabrik gehen, die mit ihrer Gitterumzäunung wie ein Käfig anmutet. REGELN AM BAND, BEI HOHER GESCHWINDIGKEIT schafft es, ein gesellschaftspolitisch hochbrisantes Thema differenziert, mit hohem ästhetischen Anspruch und formaler Stringenz eindrücklich umzusetzen. (Anja Klauck)… >>>

  • Dauer: 92 Min.
  • Nominierung: A38-Produktions-Stipendium
    • Regie: Yulia Lokshina