Sharon Ryba-Kahn ist die Enkelin von Überlebenden der Shoa. Ihre Großeltern väterlicherseits stammen aus Polen. Nach dem Krieg kamen sie als „Displaced Persons“ nach München, wo Großvater Chaim Ryba ein Geschäft aufbaute, in dem er Tag und Nacht arbeitete. In München wurden ihre zwei Söhne und auch Sharon geboren. Zu Beginn ruft Sharon, die zugleich Regisseurin und Protagonistin des Films ist, ihren Vater nach über sieben Jahren Kontaktpause an. Bohrende Fragen und ein Gefühl der Fremdheit treiben sie um: Wo genau war die Heimat der Großeltern? Warum haben sie sich ausgerechnet im Land der Täter*innen angesiedelt? Bei ihrer Ankunft in München mussten sie auf dem Meldezettel als letzten Wohnort „Auschwitz“ angeben. Warum hat ihr Vater, der nach Israel ausgewandert ist, nie mit ihr über das Trauma seiner Eltern gesprochen? Warum konnte er keine Bindung zu seiner Tochter aufbauen? Warum hat er sie nicht einmal nach dem Tod des Großvaters angerufen? Warum ist sie selbst in Deutschland geblieben, wo sie sich nicht ganz zugehörig fühlt? Ryba-Kahn will verstehen. Sie begibt sich auf eine sehr persönliche Recherche-Reise, die sie nach Israel, nach Polen zu den Wurzeln der väterlichen Familie, und an ihren Geburtsort München führt. Denn auch das Verhältnis zu ihren nichtjüdischen, deutschen Jugendfreundinnen stellt sie in Frage. Warum war ihr Jüdischsein nie Thema? Beginnt vielleicht ein „unbewusster“ Antisemitismus schon da, wo es für die dritte Generation Deutscher nach der NS-Zeit „keine Rolle spielt", dass die Freundin, deren Großeltern knapp den Gaskammern entkamen, Jüdin ist? Die Regisseurin lässt die eigenen Gefühle zu, man spürt ihre Betroffenheit, die sie hinterfragt und reflektiert. Ihre Offenheit sowie die Vielstimmigkeit machen den Film, der ihrer Mutter, einer renommierten jüdischen Journalistin und Psychotherapeutin gewidmet ist, zu einem wichtigen Diskussionsbeitrag zum Thema Jüdischsein in Deutschland aus der Perspektive der Holocaust-Angehörigen dritter Generation. (Livia Theuer)