(Film-Shop, Kasseler Dokfest@KiezKino im Film-Shop)
Es ist die letzte Nacht auf dieser Erde, alles ist düster, warm und weich. In der ältesten Videothek der Welt schlüpfen wir in eine kleine, unerforschte Seitentasche der Zeit und füllen diese mit dem universellen und doch ganz persönlichen Verlangen nach Nähe und Berührung. Zwischen Endzeitstimmung und der Hoffnung auf einen Neuanfang verschmelzen sechs ganz unterschiedliche Kurzfilme miteinander und finden Antworten auf die Fragen: Welche Rolle spielt Erotik in der Dystopie? Wo treffen sich Lebens- und Todestrieb? Und wie lieben wir, wenn um uns herum alles zerfällt? (Catriona Fadke)
Gegenwart? In einer kleinen Werkstatt arbeitet Rebecca an der Herstellung von Keramik-Dildos, die aus ihrer typischen, normativ-phallischen Form ausbrechen. Vergangenheit? Mitten in der Inquisition entdeckt Josefa zwischen Dreck und Erde einen Dildo und bringt ihn in die geheime Liebesbeziehung mit Maria ein. Die beiden recolhidas (portugiesisch, am ehesten: sekuläre Einsiedler*innen) werden der Sodomie beschuldigt. In Tomás Paula Marques queerer Liebesgeschichte verschwimmen, getragen von sanften Gesängen und mystischen Bildern, die Grenzen von Zeit und Raum. Dazwischen begegnen sich die Charaktere von DILDOTECTÓNICA auf den vielen Ebenen zwischen Realität und Fantasie und suchen dort nach ihren ganz eigenen Formen des Widerstands und der normfreien Lust.
Durch die glatte, aber durchlässige Oberfläche eines Spiegels erkunden Angel Montero und Maria Serna die Verbindung von Körper, Natur und Krankheit. Auf einmal ist der Tod ganz nah, doch der Körper noch hier. Und so begibt man sich auf eine Reise, auf der Suche nach der Akzeptanz der Vergänglichkeit und des Verlusts als Teil des Lebens. Doch wie verarbeitet der Körper das drohende Ende seines Seins? Mit Heilungsritualen? Bädern, Berührungen oder der Nähe zur Natur? Mit allen Sinnen erkundet DEVOCIONES die Grenzen von Kultur und Natur, Leben und Tod. In ohrenbetäubender Stille und fragenden schwarz-weiß Aufnahmen findet er dabei eine unerwartet zärtliche, aber bestimmte Form der Lebenslust.… >>>
In einer kleinen, unpersönlichen Apartmentküche wartet ein Mensch. Es herrscht eine angespannte Stimmung in diesem Raum, der scheinbar unerreichbar weit von anderen Menschen entfernt ist. Hier reflektiert der Protagonist seine Sehnsucht nach einer Verbindung zur Außenwelt, nach Nähe und Kontakt. Die Worte, die er dafür findet, sind Forenbeiträge aus dem Internet, mal absurd, mal aufrichtig und intim. Sein Körper findet dabei Platz in Schränken, Mikrowellen, Spülen und verbindet so das Innen und Außen auf sinnliche, unheimliche Weise. Poyen Wang nimmt uns in seinem 3D-Animationsfilm ENDEARSING INSANITY mit an einen Nicht-Ort, der persönlicher nicht sein könnte. Erotik und Horror treffen aufeinander und erkunden gemeinsam die Grenzen unserer Selbstermächtigung in einer entfremdeten Umgebung.… >>>
Wenn man etwas erforschen will, den Kern einer Sache erkennen, so geht einem auf dem Weg dorthin immer auch etwas verloren. Doch wie können wir schauen, ohne zu zerstören, was wir sehen? In Magdalena Bermudez essayistischem Kurzfilm PARALLEL BOTANY treffen erotisch aufgeladene Stillleben von Früchten und Pflanzen auf ihre botanischen Illustrationen. Im Prozess der Erkenntnis werden die Objekte der Betrachtung unter das Messer gelegt und in zwei Hälften geschnitten, auf der Suche nach dem Innen und der Schönheit einer Sache, die nur entsteht, wenn sie entzwei geteilt wird. Doch in den Pflanzen regt sich Widerstand. Ihre beiden unterschiedlichen Darstellungen kollidieren und entblößen in ihrer Gegenüberstellung das düstere Paradoxon des Unerreichbaren – und die Schönheit der Spekulation.… >>>
Hinweis: Thematisierung von Suizid In vielen Warhol-Filmographien taucht der Titel „Dance Movie“ (auch bekannt als „Rollerskate“) auf, doch bis heute bleibt er unauffindbar. In GODDESS OF SPEED reimaginiert Frédéric Moffet das verschwundene Werk, das den talentierten Tänzer Fred Herko zeigen soll, wie er 1963 auf einem einzelnen Rollschuh gleitet. Dabei erzählt er auch die Geschichte von Herkos Tod, der 1964, wohnungslos und im Drogenrausch, nackt aus einem offenen Fenster sprang, während er zu Mozart tanzte. In Herkos Geschichte finden pure Lebenslust, Rausch und Tanz genauso Platz wie (Selbst-)zerstörung und Tod. GODDESS OF SPEED lässt diese beiden Energien bildlich und zeitlich nebeneinander existieren und öffnet so einen poetischen, introspektiven Blick auf das Ende des Lebens und die Ekstase, die ihm vorausgeht.
Hinweis: Der Film arbeitet mit Lichteffekten, auf die Fotosensitive negativ reagieren können. Während des Lockdowns wurden für EMBERS FROM YESTERDAY, AFLAME. Filmmaterialien mit Desinfektionsmitteln bearbeitet, die halfen, die Verbreitung des Corona-Virus einzudämmen. William Hong-xiao Weis transzendentaler Experimentalfilm erinnert an die Fragilität des filmischen Mediums und des Lebens selbst. In der reinen Ekstase der flackernden Bilder lösen sich intime, körperliche Momente, Küsse und Berührungen in psychedelische Farben auf und verschmelzen durch die analoge Bearbeitung der Bilder zu einem großen, abstrakten Ganzen. Das bildlich Gewohnte zerfällt dabei genauso wie unsere bekannte Umwelt. Gerahmt wird dieser Bilderrausch von den zerbrechlichen Aufnahmen junger Zweige, die darum kämpfen, nach dem Ende der Katastrophe wiedergeboren zu werden.