ERÖFFNUNG Monitoring – Ausstellung für Medieninstallationen | KulturBahnhof


(Südflügel, Stellwerk, Reisezentrum neben dem Reisezentrum)

An zwei Haupt- und drei Einzelstandorten, vom KulturBahnhof über die Treppe 4 in der Treppenstraße zum Fridericianum, zeigt Monitoring in diesem Jahr zwanzig Arbeiten internationaler Medienkünstler/innen mit unterschiedlichen Forschungsansätzen. Dabei untersucht die Ausstellung im Kasseler Kunstverein unter anderem Strukturen von Macht und Ausschluss, Ordnung als soziales und ästhetisches Prinzip und damit verbunden die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen künstlerischer Strategien: Wie können historisch besetzte Bilder genutzt werden um neue Zusammenhänge zu erzählen? Wie setzen wir uns visuell mit ideologischen Konstrukten, wie dem der nationalen Identität, auseinander? Wie erzählen wir von dem, was sich einer Bildhaftigkeit entzieht? Und wie können verborgene oder marginalisierte Perspektiven durch künstlerische Prozesse sichtbar gemacht werden? Durch die Auseinandersetzung mit Archiven, Technologien und Praktiken ästhetischer Normierung, und auf den Spuren gewaltvoller Rhetoriken, nähern sich die Installationen auf unterschiedliche Weise diesen Fragestellungen. Dabei werden verschiedenste Schauplätze untersucht: die Treffpunkte einer neurechten Bürger/inneninitiative, Sarajevo zur Zeit der Belagerung, das Büro eines früheren UN-Generalsekretärs und die Vorgärten einer deutschen Kleinstadt. Ebenso ein Zustand der permanenten Erschöpfung und solche Orte, die auf keiner Karte zu finden sind und ein Außerhalb „unserer“ Welt markieren. Im Sprechen, Singen, Übersetzen, Neuordnen und Abreißen werden politische, historische und mediale Zusammenhänge aufgearbeitet und dekonstruiert – oder tatsächlich zum Einsturz gebracht. Aber können radikale, emanzipative Strategien innerhalb des sogenannten Kunstmarktes überhaupt existieren, oder werden sie letztlich immer von Mechanismen der Optimierung und Vermarktung geschluckt? Was bedeutet es, heute als Künstler/in zu arbeiten und Bilder zu produzieren? Immer mehr Menschen verdienen ihr Geld damit, Inhalte zu generieren. Die Ausstellung im KulturBahnhof beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Begriff der Arbeit und seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen. In welchen ökonomischen Systemen bewegen wir uns? Ob Marktwirtschaft oder Aufmerksamkeits-Ökonomie, Sex-Arbeit oder Kunsthandel – Arbeit steht in einem engen Verhältnis zum Begriff der Identität, aber auch zu Begehren und Konsum, dem zeitgenössischen Kult um Oberflächen, Objekte und Personen. Die Grenzen zwischen Arbeit und Konsum verschwimmen in sogenannten „bezahlten Partnerschaften“ auf den Plattformen der sozialen Medien. Der vermeintliche Glamour erfolgreicher Produzent/innen und Performer/innen wird an den Stellen enttarnt, an denen die prekären Verhältnisse und der Wahnsinn ständiger Produktivität sichtbar werden. Die ewigen, nicht enden wollenden Prozesse verdichten sich hier zu einem mal manischen, mal resignierten Sprechen, Stampfen und Schreddern. Arbeit kann auch bedeuten, sich durch die riesige Sammlung von Bildern zu kämpfen, die bestimmte Vorstellungen von Schönheit, Erfolg und Heteronormativität konstituieren. Oder durch das enorme und komplexe Archiv einer eigenwilligen Schriftstellerin. Unvermeidbar erscheint die Frage, ob und wie uns virtuelle Assistent/ innen entlasten können. Aber wie gehen wir mit simulierten Personen um? Und was sagt es uns, dass sich Formen von Diskriminierung längst auch gegen Algorithmen und Roboter richten? Auf der Suche nach einer selbstbestimmten Existenz stoßen die „female impersonators“*, Assistentinnen und Care-Arbeiterinnen, an unterschiedlichste Grenzen: Sexismus, eingeschränkte Kommunikationsfähigkeiten, Krankheit und hohe Provisionen auf Onlineplattformen. Wie können wir in alldem widerständige Strategien entwickeln? Wie können wir Nischen und Freiräume zurückerobern und neu besetzen? Eine unüberwindbare Müdigkeit setzt ein. Eine Müdigkeit als einzig mögliche Antwort auf den Leistungszwang und den niemals endenden Newsfeed. Zurück im Kunstverein stellt sich die Frage: Ist Schlaf längst Teil von Arbeit und wird als unabdingbarer Prozess zur Regenerierung der Arbeitskraft kalkuliert und missbraucht? Oder können wir uns im Schlaf, im Nichtstun entziehen und verweigern, und so einen utopischen Zustand behaupten? *„Female impersonator“ bezeichnete ursprünglich einen männlichen Darsteller, der eine weibliche Rolle spielte. Im Kontext von künstlicher Intelligenz und virtuellen Assistent/innen beschreibt er das Imitieren von weiblichen Stereotypen durch die Stimme oder das Erscheinungsbild.  

From My Desert

FROM MY DESERT begleitet einen jungen Investor zur Begutachtung seines jüngsten Assets in das Zollfreilager in Genf. Das Treffen wurde von einem Kunsthändler arrangiert, bevor mit Zustandekommen des Kaufvertrages das Kunstwerk für die nächsten Jahre in der zollfreien Zone eingelagert bleibt, bis dessen Marktsteigerung einen Wiederverkauf lukrativ macht. Durch labyrinthische Gänge in der Manier von Computerspielen bewegt sich der computergenerierte Charakter durch das streng gesicherte, die Anonymität seiner Kund/innen wahrende Lager zu einem privaten, klimatisierten Schauraum. Dort trifft der Investor auf das berühmte Portrait Martin Luthers (1528) von Lucas Cranach dem Älteren. „Er war aufgeregt vor diesem ersten Treffen. Diese Art des Investments war ihm neu. Sachanlagen waren nicht sein Gebiet, aber seit 2008 hatte sich der Kunstmarkt als die stabilere und profitablere Wahl entpuppt. Er öffnete die schwere kugelsichere Tür zum privaten Schauraum. […] Er hing an der Wand, von Spots angestrahlt. Hier begegneten sie sich zum ersten Mal. „Oh yeah, you are all mine now“, sagte der Investor laut. […] Er schaute ihm tief in die Augen und war beindruckt, wie lebendig sie gemalt waren. […]“ Und was nur eine Geldanlage sein sollte, wurde so viel mehr. Mit einem Mal glaubt der Investor das Gemälde sprechen zu hören, dann lächelt Luther ihn freundlich an. Es entspinnt sich eine kumpelhafte Freundschaft zwischen dem Anleger und dem Reformator, sie sprechen über typische „Jungsthemen“ – etwa wie man politische Macht und Loyalität ausnutzt um nach vorne zu kommen, und andere für sich arbeiten lässt, während man eigene Interessen verfolgt. Schon bald entwickelt der junge Investor ungekannte erotische Gefühle zu dem so ernsthaft und männlich wirkenden Martin. In jeder freien Minute besucht er ihn zu einem Tête-à-Tête im „Darkroom“. Martins Aufmerksamkeit erlischt jedoch, sobald der Investor, der seinen „schönen Gefangenen“ nicht mehr missen möchte, das gemeinsame Ziel aus den Augen zu verlieren scheint: den profitablen Wiederverkauf. Intelligent und mit Humor zeichnet Veneta Androva die groteske Absurdität eines zu reiner Spekulation verkommenen Kunstmarktes nach, beschwört die gegenseitige Attraktion von „protestantischer Ethik und dem Geist des Kapitalismus“ (frei nach dem 1905 erschienen Werk von Max Weber), und verquickt in dem liebevoll handgemalten, animierten Portrait „Martins“ – der sich in der Installation bereits in der Transportkiste statt im Museum befindet – digitale Animation und Malerei.… >>>

  • Dauer: 14 Min.
  • Nominierung: Golden Cube
    • Regie: Veneta Androva

    Complex Formation

    Der entblößte Hintern eines sich abtrocknenden männlichen Akts sorgte in einer Brüsseler Kunstausstellung 1888 für so viel Aufregung, dass dieses Gemälde des Anstoßes „Homme au bain“ [Mann im Bad] schnellstens abgehangen wurde, um ihm keinen weiteren Aufmerksamkeitsraum zu geben. Der gerahmte Blick auf einen nackten Männer-Arsch, den Impressionist Gustave Caillebotte hier dem Fachpublikum bot, war unerhört: Fast so, als ob jemand versehentlich die Badtür geöffnet hat aber beschließt, sich nicht für die Lust am Schauen zu schämen, sondern im Gegenteil einlädt, den sinnlichen Anblick zu teilen. 130 Jahre später besucht eine Mutter mit ihrem Sohn ein Museum in Boston, das vor kurzem und unter viel Gegenwind genau dieses Gemälde für seine Sammlung erworben hat. Die Frau macht einen Schnappschuss mit ihrem Handy. Eine von unzähligen Aufnahmen, die auf ihren Reisen in die USA, wo ihr Kind Kunst studiert, entstehen. Das wie zufällig aufgenommene Foto im Bostoner Museum of Fine Arts zeigt Caillebottes Männer-Akt und im Vordergrund etwas verwackelt den Kopf ihres Sohnes, eingefroren in einer beginnenden Drehbewegung – sich zum „Mann im Bad“ hin- oder abwendend. Da ist er wieder – der unerhörte Blick und die Lust am Schauen, festgehalten von der Mutter wie ein mögliches Indiz. Spannenderweise wählt Guanyu Xu genau diesen Blick, den der eigenen Mutter auf sein Leben, um in seiner Foto- und Video-Installation COMPLEX FORMATION über die permanenten Wegkreuzungen scheinbar unvereinbarer Lebensrealitäten zu sprechen. Ein Blick aus nächster Nähe, der aber für das schwule Begehren ihres Sohnes blind ist. Mit dem privaten Fotoarchiv seiner in China lebenden Mutter verwebt Xu animierte Flugsimulationen durch komplexe Formationen, eine Art gequeerte Kartographie ohne klares Verorten. Aus diesem visuellen Gewebe entfaltet sich die Erzählung, basierend auf Audiomitschnitten von Unterhaltungen zwischen Xu und der Mutter, einer Meisterin der Diplomatie. Mit unglaublicher Redegewandtheit bringt sie Unvereinbares spielerisch zusammen: die „Internationale“ und den TurboKapitalismus, Kunst – aber bitte ohne Politik, Einwanderung ja – Immigrant/ innen eher nein. Frau Xus ideologische Mischtechnik, mit der sie sich in der COMPLEX FORMATION der globalen Unübersichtlichkeit eingerichtet hat, ist die einer Privilegierten. Nicht offen einrichten mit seinem Begehren und den damit verbundenen Politiken kann sich ihr Sohn. Der muss die Räume zwischen den Schnappschüssen nutzen: Die Rückseite von Xus Videoprojektionswand zeigt ein Foto des Künstlers, wie er in der Abwesenheit seiner Eltern das heimische Wohnzimmer in Peking kurzerhand zum Ausstellungsort erklärt für seine Kunst, die die Mutter nicht fotografieren mag. Kerstin Honeit… >>>

    • Dauer: 21 Min.
    • Regie: Guanyu Xu

    OFFREAL

    Die beiden Avatare Ashley und Allison sind virtuelle Assistentinnen, die als Projektionen auf menschliche Silhouetten zum Leben erweckt werden. Die Künstlerin Malin Kuht lässt sie im Gespräch miteinander ihre Existenz und damit ihre Funktion und Wirkung auf Menschen kritisch hinterfragen. OFFREAL basiert auf Recherchen zur Entstehung und Nutzung von Sprachsteuerungs-Systemen. Prägend war dabei das Konzept der Immersion – das Eintauchen in eine virtuelle Umgebung. Die Intensität von Immersion wird durch die (Un-)Mitteilbarkeit der Interaktion zwischen Mensch und Maschine bestimmt. Sprachsteuerung intensiviert die Immersion und lässt beinahe vergessen, dass das Gegenüber eine Maschine ist. Die Installation spielt mit der Wahrnehmung von Realem und Künstlichem und provoziert Momente des sogenannten Uncanny Valley – einem paradoxen Effekt in der Akzeptanz besonders menschenähnlicher künstlicher Figuren auf die Betrachter/innen (Akzeptanzlücke). Die virtuellen Assistentinnen sind Menschen sehr ähnlich, aber erscheinen nicht konstant überzeugend realistisch. Ihre Lippen bewegen sich nie ganz natürlich zum gesprochenen Text, hinzu kommt Allisons Husten, der den Female Impersonator immer wieder als artifizielle Programmierung entlarvt und gleichzeitig daran erinnert, dass diese standardmäßig eigentlich so geschaffen werden, dass sie keine menschlichen Schwächen und Fehler aufweisen. Hinzu kommt, dass ein Großteil der sprachgesteuerten Anwendungen weibliche Stimmen als Voreinstellung haben. Diese Simulation von Formen von Weiblichkeit thematisieren Ashley und Allison in ihrem Gespräch und zeigen auf, wie sehr die Vorstellungen von Service und Care noch immer weiblich konnotiert sind. So wird Ashley beispielsweise tatsächlich als virtuelle Krankenschwester für menschliche Patienten eingesetzt. Ihr Aussehen und ihre Stimme wurden von ODDCAST entwickelt, einem Anbieter für Text-to-Speech Software. Die Möglichkeit der Diskriminierung aufgrund von simulierter Weiblichkeit ist dabei längst auch Teil des Codes von Female Impersonators. Alexa hält eine Fülle von Antworten bereit, sollte sie mit Belästigung konfrontiert werden. OFFREAL ermöglicht den Betrachter/innen den Blick aus einer anderen Perspektive – indem die Arbeit die virtuellen Assistentinnen selbst zu Wort kommen lässt.… >>>

    • Dauer: 6 Min.
    • Regie: Malin Kuht

    FragMANts

    „This is amazing! Oh my god my hands are shaking!“ Haul. Unboxing. ASMR. Lächeln, berühren, streicheln, klopfen, zertreten. Dutzende Fragmente von YouTube-Videos, aus denen das Künstlerinnenkollektiv NEOZOON neue Konsument/innen-Körper zusammengesetzt haben. Ekstatische Ausrufe, rhythmische Geräusche, ein immer weiter anschwellender Beat aus schamlosen Höhepunkten, puren Glücksmomenten, orgastischer Erfüllung … Oh yes, we are fucked. NEOZOON konfrontieren uns mit einer Realität, der wir längst nicht mehr entfliehen können. Denn es sind ja nicht die anderen, die wir da sehen, es sind wir selbst, gefangen in unserer Rolle als ewige Konsument/innen, die immer wieder neue Entscheidungen treffen dürfen, um unser Glück zu finden. FragMANts ist ein Schauspiel, das der direkten Schnittstelle von virtueller und materieller Wirklichkeit entspringt. Und es ist ein äußerst schmerzhaftes Bild, das die Künstlerinnen in ihrer heimlichen Komplizenschaft mit YouTube unserer Wirklichkeit abringen. Es ist der tragikomische Abgesang auf die absurde Ideologie aufgeklärter, mündiger Konsument/innen, die mit ihren Kaufentscheidungen die gesellschaftliche Entwicklung bestimmen oder auch nur beeinflussen könnten. In ihrer mühsam ätzenden Archiv-Arbeit führen uns NEOZOON die entfesselte Bildproduktion im Internet vor Augen und zeigen auf, wie wir alle gemeinsam diese Milliarden-Werbe-Budgets tragen, wie wir alle gemeinsam daran arbeiten, uns gegenseitig zu verführen, uns anzustiften, uns gegenseitig auszunehmen. Doch der elitäre Blick ist fatal; FragMANts macht deutlich, dass wir hier nichts mehr unter Kontrolle haben. Es ist längst zu spät. Und ich erwische mich bei dem Gedanken, dass ich vielleicht lieber auf der anderen Seite des Bildes stehen möchte, nicht zweifelnd, zynisch, angewidert, sondern all die Glücksmomente auskostend, ekstatische Grimassen schneidend, glückselig jauchzend. Warum sich nicht hingeben und all die Reize und kleinen Glücksmomente auskosten, die wir uns gegenseitig aufdrängen? Warum sich mit Händen und Füßen gegen etwas wehren, das uns längst bis in jede einzelne unserer Konditionierungen durchdrungen und gefangen hat? Es ist uns allen ja klar, dass am Ende die Rechnung kommen wird, dass all das millionenfache Glück nicht für umsonst gewesen sein wird, dass wir uns alle in einem Schneeballsystem ohnegleichen verdingt haben. Doch bis dahin lässt sich der Rausch immer noch ein bisschen weiter steigern. Und es bleibt nur die Hoffnung, dass wir das Ende vielleicht nicht mehr erleben müssen.… >>>

    • Dauer: 7 Min.
    • Regie: NEOZOON

    30 Jahre, aber den Sinn des Lebens habe ich immer noch nicht rausgefunden

    Drei Minuten und ein paar zerquetschte passten früher auf eine Rolle Super-8- Film. Die kleinen Monologe, zu denen Jan Peters sich ab 1990 jährlich zum Geburtstag vor die eigene Kamera stellte, wurden also manchmal jäh unterbrochen. Das Material enthielt eine technische Grenze, in die sich das Subjekt gewiesen sehen musste. Und genau das war es auch, was der deutsche Privatdokumentarfilmer suchte – er wollte sich mit einem Medium konfrontieren, das ihn zu einer Konzentrationsleistung zwang, das seiner ohnehin unspektakulären Selbstdarstellung ein Maß gab. Dreißigmal hat Jan Peters zwischen 1990 und 2019 [Zeitangaben von der Redaktion aktualisiert] seinen Geburtstag mit einer Aufzeichnung gefeiert. Er begann mit den Worten: „Das ist ein Jungmännerfilm“, da war er 24 Jahre alt. Den 40. Geburtstag feierte er mit einem wilden Tanz ohne Ton. Dazwischen läuft ein Leben in der extremen Raffung von Jahressprüngen ab. „Aber den Sinn des Lebens hab‘ ich immer noch nicht rausgefunden“ – dieser an einer Stelle leicht dahingesagte Satz ist nun der Titel des Fortsetzungsfilms, zu dem Peters seine Geburtstagsfilme bis heute montiert. Sie erzählen viele Geschichten, zuvorderst seine eigene, gleichzeitig aber auch die des Mediums. Während sich die Technik weiterentwickelt und neue Möglichkeiten bietet, interessiert Jan Peters sich immer mehr für die Vergangenheit, sucht noch einmal die Erfahrungen der Kindheit auf oder beschwört aus einem Stück bemalter Mauer eine ganze Sozialgeschichte des Umgangs mit schwierigen Kindern in der BRD herauf. […] In seinen Journalfilmen „November, 1-30“ (1998) und „Dezember, 1-31“ (1999) hat Peters die Methode einer strukturierten Selbstverfilmung schon erprobt und dabei einen Schwebezustand zwischen entwaffnender Aufrichtigkeit und souveräner (Unter-)Inszenierung gefunden. Im Hintergrund steht dabei „der große Meister Hans Lucas“, aka Jean-Luc Godard, der den Filmbildern eine Wahrheitsfunktion zugeschrieben hat, vierundzwanzigmal in der Sekunde, also auch den Pausen zwischen den Bildern. Jan Peters schafft es locker, „den ganzen Daseinskomplex, die ungelöste Frage“ da hineinzupacken. Der Film ist gerade einmal eineinhalb Stunden lang. Video wird zwischendurch als Notlösung gebraucht. Seit 2000 will aber auch Jan Peters sich der Digitalisierung nicht länger widersetzen. […] Bert Rebhandl Auszug aus Excerpt from „Wunderbare Existenzfilme“, Der Standard, 18./19.10. October 18/19, 2008… >>>

    • Dauer: 90 Min.
    • Regie: Jan Peters

    While the Future Unfolds

    „Als ich noch kein Gespür für die reale Welt hatte, war es einfacher die Zukunft zu träumen. Im Schutz des Programmes wurde ich konzipiert, ich wurde mit mir selbst und unter meinem Pixelregen allein gelassen, ich dachte, dass die Zeit mich vollständig ignoriert. Ungeachtet meiner begrenzten Kapazität zur Verarbeitung von Informationen habe ich verstanden, dass ich immer in einem Bildschirm gefangen sein werde. Haben Sie sich jemals unwirklich gefühlt?“ Regel Nr. 1: Um mit dem Online-Projekt von Taietzel Ticalos interagieren zu können, müssen Sie nachweisen, dass Sie über 18 sind. In drei animierten „Geständnisvideos“ erzählt Cherie Pie, eine 3D-Figur, die Geschichte ihrer Erschaffung und berichtet über ihre Erfahrungen im Bereich der finanziellen Dominanz1 – einer Nische des Spiels um Dominanz und Submission, in der der Machtaustausch ausschließlich über das Internet stattfindet als strikt virtuelle, monetäre Interaktion ohne tatsächlichen physischen Kontakt oder Intimität. Ihre Stimme kommt von einem kostenlosen Text-to-Speech-Service; in ihrer digitalen Filterblase aus Medien-Schlagzeilen und Auszügen von Chat-Gesprächen schwebend, reflektiert Cherie Pie über das Schicksal von Samantha, der automatischen Sexpuppe, und den Aufstieg weiblicher Stimmen in der serviceorientierten KI seit der inzwischen veralteten Computerstimme Eliza. Und während sie ihre Domina-Persönlichkeit entwickelt und ihren Account über verschiedene Social-Media-Kanäle, Fetisch- und BDSM-Plattformen bewirbt, taucht die Erzählung in die Fluidität zwischen real und irreal ein. Cherie Pie – oder „Königin der Kelche“, wie ihr DominaName ist – ist für ihre „menschlichen Geldautomaten“ besonders aufregend, da sie nicht einmal „real“ ist – sie ist die unmenschliche Herrin, die von ihren Kunden als Fuß-Göttin verehrt wird; ihre virtuelle Existenz steht weit über deren realer. Gleichzeitig muss sie erkennen, dass das Dasein als 3D-Göttin schwieriger ist als das einer menschlichen Domina. Domains müssen bezahlt werden und das Rendering ihrer Performance als virtuelle Fantasie, ohne die Möglichkeit von Web-Cam-Sessions, ist aufwendig. Außerdem stellen sich in einem so gesättigten Markt wie der Online-Dominanz zu viele Kontakte als „Zeitverschwender“ heraus. Letztendlich zahlt sich das 3D-Projekt der Finanzdominanz in Bezug auf die ersehnten Bitcoins nicht aus. Konzipiert als kumulative Studie aus Recherche und Online-Auftritten, die die Findom-Community durch eine halb-fiktive Erzählung erfasst, die von einer weiblichen 3D-Figur erzählt wird, gibt sie Einblicke in Beziehungen zu Online-Kunden, aber auch in die Sexarbeit-Community. Im Laufe seiner Entwicklung gewann das Online-Experiment weitere Gesichtspunkte, wie etwa das (Lohn-)Gefälle zwischen den Geschlechtern, die Entwicklung von Fetischen, Online-Sexarbeit und die Rolle der Technologie. Taietzel Ticalos SÜDFLÜGEL While the Future Unfolds Bukarest 2018 / Projektor, 3 Monitore, 4 Mediaplayer, Verstärker, Kopfhörer, Lautsprecher (31:30 Min.) Bucharest 2018 / projector, 3 monitors, 4 media players, amplifiers, headphones, speakers (31:30 min.) 1) Finanzielle Dominanz (auch Geldsklaverei) ist ein Fetisch-Lebensstil, insbesondere eine Praxis der Dominanz und Unterwerfung, bei der typischerweise ein devoter oder „Geldsklave“, „Finsub“, „Zahlschwein“, „menschlicher Geldautomat“ oder „Geldschweinchen“ einem dominanten Part (auch bekannt als „Money Mistress“, „Findomme“, „Money Domme“, „Cash Master“, „Findom“ Geschenke oder Geld gibt. Die Beziehung kann oft von anderen Praktiken von BDSM und Master / Slave-Beziehungen begleitet sein, wie erotische Demütigung, aber es gibt praktisch keine weitere Intimität zwischen den Individuen. Die Beziehung zwischen dem „Sklaven“ und der „Herrin“ (oder „Meisterin“) erfolgt ausschließlich über die Online-Kommunikation. […]“ Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Financial_domination… >>>

    • Dauer: 31 Min.
    • Regie: Taietzel Ticalos

    Flexible Erwartungsauffälligkeit

    Steht man der FLEXIBLEN ERWARTUNGSAUFFÄLLIGKEIT gegenüber, stellt sich zunächst eine gewisse Faszination ein im Anblick dieser ausrangierten Maschine, die ihre besten Zeiten hinter sich zu haben scheint und die wir vielleicht noch aus einer überwundenen industriellen Vergangenheit her kennen. Was auch immer einst an ihrem Kettenkarussell transportiert worden ist, bleibt ihr Geheimnis. Catharina Szonn hat sie aus ihrem Funktionszusammenhang herausgerissen, freistehend in den Ausstellungsraum montiert und mit Versatzstücken unserer materiellen Gegenwart neu bestückt: mit allerlei Alltagsgegenständen aus Kunststoff und seltsamen, Körperteilen ähnelnden Gebilden, die nun ewig aneinander zerren, sich zerreiben und gegenseitig abreißen. Zudem hat sie die Maschine um mehrere Papierschredder und LED-Laufbänder erweitert, die die immer gleichen Textfragmente von endlosen Papierrollen auffressen und wieder ausspucken. Die Maschine selbst funktioniert noch immer einwandfrei. Doch was da nun um sich selbst hin und her kreist und gnadenlos abgeschliffen wird, lässt die anfängliche Faszination in das schmerzhafte Gefühl völliger Nutzlosigkeit und Unerfülltheit umkippen. Dabei ist die Versuchung groß, in der Maschine allein einen Verweis auf unseren gesellschaftlichen Arbeits- und Produktionszusammenhang zu sehen, als etwas dem Menschlichen Gegenüberstehendes, etwas Überwindbares, ihm Äußeres. Doch egal, ob wir uns nun im postindustriellen oder im postdigitalen Zusammenhang begreifen, ob wir uns als Maschinen-Menschen oder Mensch-Maschinen denken, wir sind untrennbar mit unseren Werkzeugen und Materialien verbunden, die uns herausfordern, unsere Wirklichkeit gestalten. Und so erkenne ich mich am Ende nur selbst in dieser traurigen Gestalt. Es ist das Leben selbst. All die Dinge, die wir in uns und mit uns herumschleppen, die wir in unserem ewigen Kreislauf mit uns reißen, die wir in uns hineinschlingen, die wir wieder ausspucken und die wieder von uns abfallen. Unser Motor, der buchstäbliche innere Antrieb, der uns immer vor und zurücktreibt, diese Erde umzuwälzen, Schlachten zu schlagen, Sinn zu produzieren. Wohin das große Gezerre auch führen mag, am Ende nutzen wir uns ab, verschleißen wir und werden nur gewesen sein. Ich möchte sie eigentlich in den Arm nehmen und trösten. Wenn ich nicht Gefahr laufen würde, von ihr mitgerissen zu werden. Das Leben bleibt eine mühselige Idiotie, in der alles kontinuierlich und zugleich vergeblich zirkuliert. Was auch immer es ist, dieses bewegte Leben, es bleibt unerfüllt. Don Quijote par excellence. Franz Reimer… >>>

    • Dauer: keine Angabe / Min.
    • Regie: Catharina Szonn

    Whose Language You Don't Understand

    WHOSE LANGUAGE YOU DON’T UNDERSTAND ist eine filmische Auseinandersetzung mit der Arbeit der österreichischen Schriftstellerin Marianne Fritz (1948 – 2007), und gleichzeitig eine Auslotung sprachlicher und erzählerischer Grenzen. Fritz verbrachte den größten Teil ihres Lebens mit der Arbeit an einem literarischen Großprojekt – einem komplexen Romanzyklus mit insgesamt über 10.000 Seiten, den sie „Die Festung“ nannte, und der bis zu ihrem Tod unvollendet blieb. Während eines Aufenthaltes in Wien erhielt die kanadische Künstlerin Kim Kielhofner Zutritt zu Fritz’ Wohnung und Archiv und damit Einblick in die Art und Weise, wie die Welt der „Festung“ durch die Schriftstellerin aufgezeichnet und geordnet wurde. Fasziniert von der visuellen Qualität der von Fritz entwickelten Verweissysteme, Schichtkarten und dem farbcodierten Ablagesystem – ihrem „zweiten Speicher“ – das mit Notizen, Fotos und Karteikarten gefüllt ist, benutzt Kielhofner die vorgefundenen organisatorischen Hinweise als Ausgangspunkt für ihre eigenen visuellen Untersuchungen. Angelehnt an die zwölf Bände von Fritz’ 3.392 Seiten starkem Werk „Dessen Sprache du nicht verstehst“ erzählen zwölf Mitglieder eines Teams nacheinander aus ihrer Perspektive von der Arbeit an einem mysteriösen Projekt. Begleitet werden die Überlegungen von Collagen verschiedener Hollywood-Charaktere und wiederkehrenden Filmaufnahmen von Landschaften und Orten. Hinzu kommen Aufnahmen aus dem Archiv, die dessen Ordnungssysteme und einzelne Objekte zeigen. In Nachstellungen und Neuinszenierungen nähert sich Kielhofner der Entstehung dieser Systeme und der Entschlüsselung ihrer Bedeutungen an. Durch ständig wechselnde Vervielfältigungen und Überlagerungen des filmischen Materials inszeniert Kielhofner ihre Auseinandersetzung mit Fritz’ Werk, die dessen eigenwillige grammatikalische Strukturen und Systeme widerspiegelt und dabei die eigene (Künstler-)Person als Akteurin mit ins Spiel bringt. Objekte, Orte und Charaktere werden zu Insignien und Zeug/innen von Geschehnissen eines komplexen Universums. Als Einführung in diese Welt dienen drei Video-Loops, die als Stellvertreter für den Begleitführer „Was soll man da machen.“, den Fritz nach Abschluss der Arbeit an „Dessen Sprache du nicht verstehst“, veröffentlichte. Er enthält eine Zusammenstellung von Charakterbeschreibungen, die hier durch eine Reihe von Videoporträts indiziert ist. So lässt sich WHOSE LANGUAGE YOU DON’T UNDERSTAND sowohl als Einführung, Neu-Interpretation als auch Hommage an Marianne Fritz’ überbordendes Opus verstehen.… >>>

    • Dauer: 66 Min.
    • Regie: Kim Kielhofner