Revision
Ein Mähdrescher pflügt durch ein Maisfeld, der Himmel ist blau. Als der Motor verstummt, sind die Gesänge der Vögel zu hören. Eine Stimme aus dem OFF erzählt: „Nadrense, Mecklenburg-Vorpommern. 29. Juni 1992. Zwei Erntearbeiter entdecken von ihrem Mähdrescher aus etwas im Getreide. Beim näheren Hinsehen erkennen sie die Körper zweier Menschen. Sie fahren Richtung Dorf, um Hilfe zu holen. Hinter ihnen steht das Feld in Flammen.“ Ermittlungen ergeben, dass es sich bei den Toten um rumänische Staatsbürger handelt. Sie wurden bei dem Versuch, die EU-Außengrenze zu überschreiten, von Jägern erschossen. Diese geben an, dass sie die Opfer in der Unübersichtlichkeit des Getreidefeldes mit Wildschweinen verwechselt hätten. Vier Jahre später beginnt der Prozess. Welcher der Jäger den tödlichen Schuss abgegeben hat, lässt sich nie beweisen. Das Urteil: Freispruch. dpa meldet: „Aus Rumänien ist niemand zur Urteilsverkündung angereist.“ Das war auch nicht möglich, denn ihre Familien wussten gar nicht, dass jemals ein Prozess stattgefunden hat. In den Akten stehen die Namen und Adressen von Grigore Velcu und Eudache Calderar. Filmemacher Philip Scheffner besucht 2011 die Witwen und Kinder, die der Tod der Ernährer in große Not gestürzt hat. So erfahren sie von dem Verfahren. Die nackten, verbrannten Leichen wurden damals ohne Erklärung in die Heimat überführt. Zum ersten Mal nach 20 Jahren haben die Angehörigen, Freund/innen und Augenzeug/innen die Gelegenheit ihre Version der Vorkommnisse zu berichten. Scheffner führt dabei keine herkömmlichen Befragungen durch. Er filmt seine Interviewpartner /innen –auch die zwei Erntearbeiter/innen und einige der damals ermittelnden Beamt/innen -, während sie ihren eigenen Aussagen zuhören, und gibt ihnen somit die Möglichkeit, sich nachträglich zu korrigieren. Im Verlauf des Films kann der/die Zuschauer/in ihre Erkenntnisprozesse nachvollziehen. Mit REVISION wird ein juristisch abgeschlossener Kriminalfall einer filmischen Revision unterzogen, die Orte, Personen und Erinnerungen miteinander verknüpft und ein fragiles Geflecht aus Versionen und Perspektiven einer „europäischen Geschichte“ ergibt. Der Film rekonstruiert die Umstände, die 1992 – im Jahr zahlreicher offen rassistischer Verbrechen wie Rostock-Lichtenhagen, Mölln etc. – zum Tod zweier Männer auf einem Feld nahe der deutsch-polnischen Grenze führten. Mit zunehmend beklemmender Dichte webt Scheffner ein Netz aus Landschaft und Erinnerung, Zeugenaussagen, Akten und Ermittlungen.
- Deutschland
- 106:00 Min.
- Regie: Philip Scheffner
- Production: Merle Kröger
- Kamera: Bernd Meiners
- Schnitt: Philip Scheffner
- Ton: Pascal Capitolin, Volker Zeigermann
- Sprache: deutsch, rumänisch
- Untertitel: deutsche
- Jahr: 2012