On a Wednesday Night in Tokyo
Tokyo, 23 Uhr. Menschen steigen in eine Bahn. In einer Einstellung gedreht, vermittelt das Video bis an den Rand des Unerträglichen das Unvermeidliche. Vielfältige Assoziationen zum Titelmotiv des 30. Kasseler Dokumentarfilm- und Videofestes sind möglich…
Deutschland / Japan 2004 / 5:35 Min. / keine Dialoge
Regie: Jan Verbeek
Kurzfilm-Wettbewerb zum Jubiläum:
„Nicht ohne mein Händi! Ist mein Verhalten falsch? Oder: Wie nutze ich im Kino mein Mobiltelefon richtig!“
Präsentation der neun Kurzfilme, die zum Thema entstanden sind, sowie Vergabe der drei Geldpreise (2.500 €, 1.000 € und 500 €) durch die Mitglieder der Jury Martina Bramkamp und Jan Peters.
Entrissen
Wir flüchten im Kino in eine unbekannte Welt und werden im Idealfall völlig von ihr eingenommen. Das Bewusstsein, im Kinosaal zu sitzen schwindet komplett. Dieser Sog wird jedoch durch die Benutzung von Handys im Kinosaal gestört. Man wird durch äußere unmittelbare Störfaktoren, wie zum Beispiel plötzlich klingelnde oder leuchtende Handys, aus dem Filmgeschehen gerissen. Das Ergebnis: der harte und unschöne Aufprall in der Realität. Dieser Clip gegen die Handy-Benutzung im Kino verbildlicht diesen gewaltsamen Entriss aus dem Filmgeschehen und fordert in Form eines social clips zum Ausschalten des Handys während der Vorführung auf.
Deutschland 2013 / 00:47 Min. / keine Dialoge
Regie: Daniel Maaß
Nicht ohne mein Händi!
Ich bearbeite das Thema szenisch mit zwei Strichfiguren, die sich fiktiv mit der Begegnung eines Mobiltelefonbesitzers auseinander setzen. Die Situation, die die beiden schildern, ist örtlich in einem Kino verortet. Die Situation orientiert sich an der Ausgangsfrage: „Begegnen sich Menschen anders, wenn sie Mobiltelefonnutzer sind? Und wie bewusst nehmen Menschen ihre (a)soziale Kommunikation als Wirkung wahr, wenn sie ein Handy oder Smartphone besitzen? Werden sie je nach Ort anders wahrgenommen? Wie zum Beispiel in einem Kinosaal?“
Deutschland 2013 / 1:06 Min. / deutsch
Regie: Felix Kramer
Cinephob – Die Kino-App
„Die Cinephob – Kino-App hilft dir im Kino Spaß zu haben, weit über das normale Filmerlebnis hinaus!“. So könnte ein Slogan für die fiktive Handy-Software aussehen. Viel zu oft vergessen Kinobesucher, die im Besitz eines Smartphones sind, die vielfältigen Möglichkeiten lieber außerhalb des Kinos zu nutzen und im Saal den Film zu genießen. Der vermeintliche Werbeclip soll dieses Phänomen überzeichnet darstellen und ins Lächerliche ziehen.
Deutschland 2013 / 1:02 Min. / deutsch
Regie: Daniel Kowalke
Es geht auch anders
Der Film ES GEHT AUCH ANDERS erzählt eine wahrscheinlich eher unwahrscheinliche Geschichte. Und früher wäre doch nicht alles einfacher gewesen!
Deutschland 2013 / 00:43 Min. / deutsch
Regie: Jan Heise
Der große Kehraus
Klaus Kronzucker ist ein großer Romantiker und Kunstliebhaber. Er möchte den jungen Leuten seine Leidenschaft für das Kino nahebringen. Deren Aufmerksamkeit wird abermehr und mehr von einer Maschine namens „Smartphone“ vereinnahmt. Klaus entschließt sich schweren Herzens zu einer drastischen Maßnahme. Zum Glück kann er ein bisschen zaubern und zeigt mithilfe einer magischen Filmrolle, welche Konsequenzen die Produktion und der übermäßige Gebrauch von Smartphones mit sich bringen. Hoffentlich kehrt die alte Faszination für das große Kino wieder ins Lichtspielhaus zurück.
Deutschland 2013 / 1:09 Min. / deutsch
Regie: Johanna Selge
Girly, Graf und Robo-Dog im Gruselschloss
Unsere Protagonisten Girly Girl, der Graf und Robo-Dog betreten ein gruseliges Gemäuer. Sie tasten sich mit dem spärlichen Licht einer Fackel langsam vorwärts. Doch dann ein plötzlicher Windstoß löscht die einzige Lichtquelle. Dunkelheit. Panik. Und dann auch noch diese Angst erregenden Monsteraugen, die da aus dem Nichts auftauchen. An dieser höchst spannenden Stelle scheint etwas die Szenerie zu stören. Diffuses bläuliches Licht entlarvt hier und da, dass es sich bei dem ganzen nur um ein Filmset handelt. Klingeltöne und andere Geräusche zerstören die Stimmung nun endgültig. Jetzt begreifen die drei: Es sind Handys und vor allem Smartphones, die ihnen den Film versauen. Die Protagonisten sind über diese Störung zutiefst empört und beschließen: Handys und Smartphones müssen ein für alle Mal zerstört werden.
Deutschland 2013 / 1:00 Min. / keine Dialoge
Regie: Michel Esselbrügge
HandyHypnose
Wenn keine Argumente, Bitten oder Drohungen helfen, kann man immer noch auf Hypnose zurückgreifen. 3,2,1 die Botschaft lautet „Bitte Handy aus”.
Deutschland 2013 / 00:43 Min. / deutsch
Regie: Monika Kostrzewa
Beschwerde-Anruf
Ist das Kino ein öffentlicher Raum, in dem jeder das tun darf, wonach es ihm beliebt? Sollte jemand, der in Ruhe einen Film genießen will, dies besser vor dem heimischen Fernseher tun? Der Zuschauer erkennt die Lächerlichkeit der schimpfenden Anruferin, fühlt sich ihr überlegen und kann mit seinem vorbildlichen Verhalten zeigen, dass er es besser weiß.
Deutschland 2013 / 1:06 Min. / deutsch
Regie: Josephine Arand, Svenja Matthes, Monika Kostrzewa
Homework
Die Addition der vorhandenen personalen- zur technischen Situation, multipliziert mit dem Quadrat der jeweiligen individuellen Charakterzüge, geteilt durch die erteilte Aufgabe, gleich der Unendlichkeit der Möglichkeiten minus Zielsetzung, gewürzt mit einer Prise Alltäglichkeit, ergab diese Interaktion.
Deutschland 2013 / 1:00 Min. / deutsch
Regie: Clara Winter
Film mit Livemusik:
John Griersons Dokumentarfilmklassiker „Drifters“ (1929) wird durch eine Komposition von Rochus Aust und Markus Aust und dem 1. Deutschen Stromorchester neu intoniert.
In der über 30-jährigen Geschichte des Filmladens waren Stummfilmklassiker vor allem in Verbindung mit Livemusik immer wieder Höhepunkte des Kinoprogramms. Auch im Verlauf der 29 Dokumentarfilm- und Videofeste überraschten dokumentarisch-experimentelle Filme der 20er und 30er Jahre wie Walter Ruttmanns „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“, Dziga Vertovs „Der Mann mit der Kamera“ oder kurze Filme von Joris Ivens, Luis Buñuel und René Clair die Zuschauer durch modern wirkende Montagetechniken, den Einsatz einer entfesselten Kamera, sinfonische Optik und visuelle Lyrik.
Gleichzeitig stand, wie im zeitgenössischen Dokumentarfilm häufig, der kritische Blick auf die Wirklichkeit im Fokus der Film-Avantgarde. Sachlich-nüchtern und herzzerreißend zugleich schildern z.B. Joris Ivens und Henri Storck in „Borinage“ aus dem Jahr 1933 die verzweifelte Lage der belgischen Bergarbeiter.
Mit der Avantgarde von damals in die Zukunft schauen, könnte ein Motto des Eröffnungsabends sein. John Griersons DRIFTERS aus dem Jahr 1929 über die schottischen Heringsfänger ist ein Klassiker der frühen britischen Dokumentarfilmschule. Grierson bewunderte Eisensteins Montagetechnik, nutzte sie aber weniger durch Konfrontation und schroffe Wechsel, sondern als Kunst des Übergangs und Organisation des filmischen Materials im Sinne einer musikalischen Logik.
Rochus Aust und Markus Aust komponieren für den Film eine Musik von der Historie ausgehend, die immer weiter ins Jetzt führt. Ein Experiment! Wir lassen uns überraschen. Und zuletzt schließen wir uns gerne einem Vertreter der Wiener Moderne Alfred Polgar an, der nach einer Vorführung des Films Ende der 20er Jahre meinte: „Am schönsten ist das Meer im Kino.“
Drifters
Großbritannien 1929 / 49 Min.
Regie, Buch, Schnitt: John Grierson
Kamera: Basil Emmott
DRIFTERS gilt als Initialwerk der britischen Dokumentarfilm-Avantgarde und besticht noch heute durch seine Aussagekraft und visuell-musikalische Komposition. Es ist ein Film über das Meer und die schwere Arbeit der schottischen Heringsfänger. Sie verlassen ihr schönes, altes Dorf in den Shetlands, beladen und heizen eines der zahlreichen Dampfschiffe am Hafen mit Kohle und legen ab in Richtung Nordsee. Dort werfen sie Treibnetze aus und verrichten weitere Arbeiten an Bord. Während die Männer schlafen, verfangen sich nachts die Heringe im Netz. Beim Einholen ihres Fangs am nächsten Morgen müssen sie sich gegen die stürmisch wogende See bewähren. Nach acht Stunden Schwerstarbeit sind die Riesenmengen Hering im Schiffsrumpf verstaut. Mit Volldampf geht es zurück in den Hafen, um den Fisch frisch auf den Markt zu bringen. Auktionäre und Händler übernehmen nun den Verkauf und Vertrieb in die Welt.
Für Regisseur John Grierson ist der Film eine Hommage an das Meer – seiner Meinung nach ein größerer Akteur als Emil Jannings – und an die hart arbeitenden Männer auf See. Das handfeste Abenteuer des Heringsfangs verlangte vom Filmteam an Bord viel „Sattelfestigkeit“ und einen stabilen Magen. Letzterer galt schon immer als Risikofaktor aller Seefilme. Der Kameramann stand teilweise angebunden auf dem Dach des Steuerhauses und „filmte bei schwerer See die gleitenden Netze mit ihrer silbernen Fülle“ (J.G.). Für Untersichtaufnahmen an Deck wurde eine Handkamera benutzt. Durch die sorgfältige Bildgestaltung und die Montage nach musikalischen Prinzipien entwickelt der Film seinen packenden Rhythmus und eine starke Suggestionskraft wie bei Shakespeare.
Zitat aus einer zeitgenössischen Kritik:
„(...) John Grierson hat den „russischsten“ aller britischen Filme gemacht. Die brausende See und das Einholen der Netze – zwei kurze Takte, ein langer. Ein Seemann hält Wache bis zum Morgengrauen. Ein verschlafener Junge wird aufgescheucht, sein Werk zu tun beim Einholen der Netze. (…) Sturm. Mehr Dampfkraft für die angespannte Winde. Wir freuen uns mit diesen in Großaufnahme so natürlich wirkenden Seeleuten, wenn ihre monotone Arbeit vorbei ist. (...) Volle Kraft voraus durch die stürmische See, um zuerst auf dem Markt zu sein. Wogen donnern über den Bug. Unten sitzen die Seeleute beim Mahl. Markt. Die See in Überblendung. Sausen und Brausen. Tonnen, schwingende Tonnen am Kran, und der Filmschnitt greift den Rhythmus auf. DRIFTERS wird Mr. Grierson weltberühmt machen. (...)“ (Informationen und Zitate aus der Broschüre DRIFTERS der Westdeutschen Kurzfilmtage Oberhausen von 1986)
Drifters-Filmmusik:
Rochus Aust und Markus Aust und das 1. Deutsche Stromorchester (Uraufführung)
Die Neukomposition zu DRIFTERS startet in der Vergangenheit mit reduzierter Klanglichkeit und vermeintlichen Stummfilmstandards, um sich von Teil zu Teil in die heutige (Film-)Musikwelt und darüber hinaus zu entwickeln. Dies wird durch den Einsatz der Instrumente (vom Piano zum Plattenspieler), durch die kompositorische Entwicklung (von der Sonate zum Sounddesign) und durch die musikalische Haltung (vom Klanggerät zum Geräteklang) erreicht.
Damit vollzieht die Musik letztendlich die technische Entwicklung, die DRIFTERS schon antizipiert.
„Der Reiz einer Neukomposition zu einem bereits bestehenden Film liegt für mich im Eintauchen in die vorgegebenen Inhalte und Strukturen und die damit einhergehende detektivische Forschung nach und in den Gedankengängen des Regisseurs. Erst danach ist die Entscheidung möglich, wo ich dem gesetzten Material wie folge oder eben auch nicht.
Das Grundmotiv, das ich bei der DRIFTERS-MUSIK in den Mittelpunkt stellen möchte ist H2O, die chemische Summenformel für Wasser. Daraus lässt sich – bei aller Beschränkung, die dies mit sich bringt - formal und inhaltlich, musikalisch und außermusikalisch enorm viel ableiten und einbetten.
En detail: findet sich die Struktur H2O in der Montage von DRIFTERS, die ja außerhalb jeder künstlerisch-technischen Umsetzung den Film längst bestimmt? Wo wird sie vermieden, wo kann sie musikalisch vervollständigt werden, wo nimmt sie Überhand?
Das Wassermolekül als innere Logik, ohne dass diese aktiv hörbar sein muss, gerne sein kann und darf.“ (Rochus Aust)
1. Deutsches Stromorchester
Das 1. Deutsche Stromorchester, ein Klangkörper aus elektrischen und elektronischen Geräten in analoger Mannigfaltigkeit zum Sinfonieorchester, wird zur Uraufführung der aktuellen Drifters-Musik mit klassischen und modernen Instrumenten ergänzt. Darüber hinaus werden Geräte der fischverarbeitenden Industrie eingesetzt. So mischen sich Synthesizer mit Entsalzer, Klarinette mit Tranchiermesser, Hawaiigitarre mit Eiscrusher, Flügelhorn mit Dosenöffner, um die Bilder von gestern in den authentischen Klang von heute einzubetten.
Rochus Aust: Komposition, Flügelhorn/Trompete/Dosenöffner/Säge/Bohrer
Markus Aust: Komposition, Klangregie/Hawaiigitarre/Dosenöffner/Eiscrusher
Heinz Friedl: Klarinette/Dosenöffner/Mixer/Häcksler/Tranchiermesser
Florian Zwissler: Synthesizer/Dosenöffner/Plattenspieler
Die Aufführung des Films DRIFTERS mit Livemusik sowie der Wettbewerb „Nicht ohne mein Händi!“ werden ermöglicht durch die Unterstützung der Kulturstiftung der Kasseler Sparkasse und der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen sowie des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst.
Unser besonderer Dank für die Realisation des Eröffnungsabend gilt: Ambion GmbH, „fliegende Köche by Christoph Brand“, Manuel Gehrke, Pianohaus Doppelstein und Weinhandlung Schluckspecht.