Dieses Jahr präsentiert das Kasseler Dokfest 204 kurze und mittellange dokumentarische und experimentelle Filme.
Die sechs Mitglieder der Auswahlkommission hatten die Aufgabe, unter mehr als 2.000 eingereichten Kurzfilmen die Trends und Strömungen der aktuellen Filmproduktion zu erfassen. Herausgekommen ist ein Programm, in dem sich vom beobachtenden Dokumentarfilm über abstrakte Animationen, persönliche Essays, queer-politische Musikvideos und künstlerisch-aktivistische Feldversuche, von der Ortserkundung bis zum Familienportrait eine ungeheure Vielfalt der filmischen Auseinandersetzung mit der Realität zeigt.
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Filmemachen ist ein ständiges Aushandeln von Sichtbarkeiten, durch das Neues produziert und alte Bilder ersetzt und überschrieben werden. Wie wir über die Welt sprechen und Bilder dazu erschaffen, ist stark von den Generationen, Epochen und gesellschaftlichen Umständen abhängig, das heißt, Geschichte wird in der Gegenwart geschrieben. Der Blick auf die Vergangenheit ist immer verhandelbar und bleibt etwas, das nicht fixiert werden kann und in einer Ambivalenz lebt. Die Aufgabe des filmischen Arbeitens, sich mit der Geschichte und Erinnerung auseinanderzusetzen, ist eine Herausforderung, aber machbar, das zeigen uns die Kurzfilme des diesjährigen Kasseler Dokumentarfilm- und Videofestes. Aus der Geschichte haben wir gelernt, dass es sehr wohl ein falsches Deuten gibt, ein Polarisieren, das Hass schürt, sich von Angst nährt und Ängste erschafft. Die diesjährigen Kurzfilme setzten sich mit diesem Deuten auseinander und debattieren, wie wir eine Erzählung erschaffen können, die nicht polarisiert, nicht diskriminiert, Menschen nicht in Schubladen einteilt, physische und psychische Grenzen abbaut und sich außerhalb nationalstaatlicher Diskurse befindet.
Die Wiederholung und Neubetrachtung eines Momentes ist im Programm ACHTUNG PROBE! ein Werkzeug einer subversiven Aneignung von Geschichte und Erinnerung, in der die Filme zwischen Inszenierung und dokumentierten Performances einer Probe oszillieren. Das diesjährige Kunstprogramm IN BESTEN HÄNDEN erzählt von Zensur in der Kunst, prekärer Arbeit im Kulturbereich und widerständiger Kunst. Die Filme beschreiben gleichzeitig die Einkehr neoliberaler Marktlogiken und wie sich künstlerische Arbeiten entgegen ihres einstigen widerständigen Ursprungs doch ziemlich gut vermarkten lassen können. DRAUßEN VOR DER TÜR vereint Filme, die uns einen Einblick geben in Kriegsgebiete, die sich unserem Blickfeld entzogen haben, sei es, weil öffentliche Medien nicht darüber berichten, oder weil Krieg in diesen Gebieten Teil des Alltags geworden ist. Die Gewöhnung an eine Normalität des Krieges oder eine Umweltkatastrophe (KONTAMINIERT) kann der ungewöhnliche (Kamera-)Blick ausverhandeln. Auf eine unheimliche
Art nähert sich ein Mitternachtsprogramm dem gegenwärtigen US-amerikanischen Zustand (AMERICAN GOTHIC). Vor allem der autobiographische Blickwinkel wird in IM SYSTEM angesprochen. Dabei wird auch in Träumen (KINOTRÄUME) über unseren Blick auf die Welt philosophiert. Welche Verantwortung tragen Filmemacher/innen gegenüber den Protagonist/innen? Im Programm DER WIDERSTÄNDIGE BLICK werden stärkende Strategien und Kämpfe schwarzer Menschen und People of Color sichtbar gemacht. INNERE SICHERHEIT analysiert die innerdeutsche politische Stimmungslage der Gegenwart und Missverhältnisse von Information, Macht und Gewalt.
Wissenschaftliche Utopien, fiktionale Zukunftsentwürfe und das Konstruieren von imaginierten Modellen beschreiben die Programme DER STOFF, AUS DEM DIE ZUKUNFT IST und LABORATORIUM. In Bildern denken, filmisches Denken, bedeutet, sich als Person zu positionieren im Feld des Visuellen. Doch was passiert, wenn Maschinen den Blick auf unsere Welt produzieren (MACHINE VISIONS)? Wem gehört der öffentliche Raum und wo liegt die Grenze zum Privaten (HOME STORIES)? Zwei Programme untersuchen, wie sich politische Umbrüche (DER ZUKUNFT ZUGEWANDT) und Machtverhältnisse (URBANE REGIME) in die Architektur und Struktur öffentlicher Räume einschreiben. Der Welt von Spektakel, Konsum und Unterhaltung widmen sich VERGNÜGUNGS-INDUSTRIELLER KOMPLEX und BIS DER KNOTEN PLATZT. Die Filme in SUNSET BOULEVARD erzählen von Romantik und Kitsch in der Konsumgesellschaft und in MARMOR STEIN & EISEN geht es um die Höhen und Tiefen menschlicher Beziehungen.
In Bildern denken ist ein Lernprozess und auch Deutung des eigenen Lebens, also autobiographisch. Im Programm ALLES ÜBER MEINEN VATER wird dieses Verhältnis auf unterschiedlichste Weise untersucht. Dabei besitzen wir viele Biographien, Identitäten, Perspektiven und schlüpfen in verschiedene Rollen (TOTEM UND TABU). Und zu guter Letzt darf das legendäre KURZ & KNAPP-Programm nicht fehlen, sowie die MATINEE (SIE NENNEN ES REALTITÄT), die ein fester Bestandteil des Festivals ist.
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