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Gloria Kino, 12:00 Uhr
Die Sonneninsel

Die Sonneninsel

Thomas Elsaesser, Filmhistoriker und Enkelsohn von Martin Elsaesser, erzählt, vor allem anhand von Amateurfilmaufnahmen seines Vaters, die dieser zwischen 1933 und 1950 mit seiner Kodak Doppel-8 gedreht hat, ein Stück kulturgeschichtlich bedeutsamer Familiengeschichte.
Martin Elsaesser, Architekt zwischen Tradition und Moderne, war Direktor der Kölner Werkschulen und ab Mitte der Zwanziger Jahre Baudirektor unter Ernst May in Frankfurt am Main. Als solcher konzipierte und baute er das „Neue Frankfurt“ mit. Unter anderem entwarf er die Großmarkthalle am Osthafen, die damals das größte frei schwebende Tonnengewölbe Europas aufwies und von den Frankfurtern „Gemieskerch“ getauft wurde. Elsässer holte auch den Landschaftsarchitekt Leberecht Migge nach Frankfurt, der sich vom Kollegen und familiären Freund bald zum Rivalen entwickelte. Migge war ein leidenschaftlicher Reformer, der im Garten einen erweiterten Wohnraum, auch für die Arbeiterklasse, sah; er war der Erfinder der Nachhaltigkeit und des Urban Gardenings. Als die Weltwirtschaftskrise 1930 Deutschland erreichte, wurden ihre avantgardistischen Stadtentwicklungspläne eingefroren. Die Nazis setzten sie schließlich als „zu jüdisch“ ab. Arbeitslos verließen beide die Stadt. Migge zusammen mit Elsässers Frau, seiner Geliebten, Liesel, und deren Kindern auf die von ihm so benannte „Sonneninsel“, in einem See am östlichen Rand Berlins gelegen, um dort (bis zu seinem frühen Tod 1935) seine Ideen von Kreislaufwirtschaft und Selbstversorgung umzusetzen.
Elsaesser, der sowohl beruflich als auch privat ausgetauscht worden war, ging als freier Architekt zunächst nach München, versuchte ab 1937 in Berlin zu arbeiten und schloss sich schließlich ebenfalls der Inselfamilie um Liesel an. 1946 zogen sie als gebrochenes Paar zurück in ihre alte Heimat Stuttgart. Martin Elsaesser geriet in Vergessenheit. 70 Jahre später wird das markanteste Bauwerk Elsaessers dem Neubau der Europäischen Zentralbank einverleibt. Anlass für den Enkel, sich mit dem Schaffen des Großvaters zu befassen, dessen verschlungenen Lebensweg dokumentarisch nachzuzeichnen und die umstrittene Wahl seiner Großmarkthalle zum Entree für das Wahrzeichen des Kapitalismus als Akt von symbolischer Bedeutung einzuordnen.

  • Deutschland
  • 01:29:03
  • Regie: Thomas Elsaesser
  • Production: Dieter Reifarth, Daniel Schössler
  • Kamera: Ingo Kratisch
  • Schnitt: Bert Schmidt, Fabio Andrade, Maren Krüger
  • Musik: Eike Hosenfeld
  • Ton: Michael Busch, Helge Haack
  • Sprache: de
  • Jahr: 2017
  • Deutschlandpremiere