Une jeune fille de 90 ans
Es ist ein ungewöhnlicher Ort für einen Tanzworkshop: die geriatrische Abteilung der Pariser Vorortklinik Charles Foix d’Ivry, die dem Filmteam während des Workshops Zugang gewährt. Teils geistern die Alzheimerkranken verloren durch die Flure, teils scheinen sie mit ihren Stühlen verwachsen zu sein, allesamt kaum mehr erreichbar. Wie die zarte, 93jährige Blanche, die keinen Appetit mehr hat und wie erloschen wirkt. Doch dann erklingen die vertrauten Klänge französischer Chansons, die meist von Liebe handeln. Der erfahrene Choreograph Thierry Thieu Niang, der den Workshop durchführt, begegnet den Patient/innen als Künstler: aufmerksam, ohne Berührungsängste. Auf jede und jeden geht er individuell ein. Wir erleben mit, wie Thierry Blicke und kleinste Bewegungen in seinen Bewegungskanon aufnimmt, wie er tanzend in einen Dialog tritt und wie umgekehrt die Kranken durch seine Resonanz aufleben, Verkrampfungen sich lösen, Gesichter beseelt werden. Auch Erinnerungen werden wach, schöne wie schmerzliche. Bei der entrückten Blanche zeigt sich die Verwandlung am stärksten. Ihre Augen leuchten plötzlich. Sie kann es kaum erwarten, auf dem Parkett zu stehen. Sie selbst scheint davon überrascht zu sein, wie ihr Körper sie mit einem Mal wieder trägt; wie sie von ihren Gefühlen überwältigt wird, die allem Anschein nach nicht altern. Wie ein junges Mädchen verliebt sie sich. Thierry ist gefordert, ihren Gefühlstaumel auszubalancieren. Die Behutsamkeit des Choreographen setzen Valeria Bruni Tedeschi und Yann Coridian in ihrem gemeinsamen Dokumentarfilmdebüt fort. Durch eine Mischung aus Empathie und Respekt in Erzählhaltung und Kameraarbeit gelingt es ihnen, die fragilen Prozesse im Wechsel von körperlicher und menschlicher Berührung ins Bild zu setzen. Im Interview berichtet Bruni Tedeschi: „Wir Menschen sind uns alle ähnlich, wenn wir Einsamkeit, Krankheit, Alter erfahren, aber auch die Freude am Tanz und an der Bewegung oder ein Gefühl von Liebe verspüren. Ich habe mich da sofort wiedererkannt. (…) Blanche kam zu uns und hat uns ihre Liebe offenbart. Es war wie ein Wunder. Und es hat natürlich Fragen von Moral, fast philosophische Themen aufgeworfen – denen man sich aber in jedem Alter stellen muss. Ist es gefährlich, sich zu verlieben? Kann es schwächen – oder im Gegenteil neuen Lebensmut einhauchen? Wir entschieden, die Situation nur zu beobachten.“
- Frankreich
- 01:25:00
- Regie: Valeria Bruni Tedeschi, Yann Coridian
- Production: Marie Balducchi
- Kamera: Hélène Louvart, Yann Coridian
- Schnitt: Anne Weil
- Ton: François Waledisch
- Sprache: fr
- Untertitel: de
- Jahr: 2016