Alte Wunden verheilen langsam und nie vollständig. Besonders wenn auf einmal Schicksalsfäden abreißen, Freund/innen und Mitstreiter/innen sterben und alles, was im Leben selbstverständlich zu sein schien, verloren geht. WUNDER DER WIRKLICHKEIT ist für Regisseur Thomas Frickel ein Mittel, um „Gespenster ans Licht“ zu bringen. Es geht im Film hauptsächlich um seinen engsten Freund und Mitstreiter, den Filmemacher Martin Kirchberger, der in der Rüsselsheimer Filmszene der 80er Jahre eine Galionsfigur war. Im Dezember 1991 kam er zusammen mit Ralf Malwitz, Klaus Stieglitz und 25 weiteren Menschen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Die erste Szene des Films gleicht mit ihrer Direktheit einem Sprung ins eiskalte Wasser. Ein Pilot wird im Cockpit interviewet, er hält kurz inne, der Film reißt plötzlich ab. So nah an den kritischen Punkt zwischen Leben und Tod werden wir selten versetzt. Frickel, wie Stephan A. Dudek (Wiesbadener Kurier, 10.06.2017) es beschreibt, „kennt keine kritische Distanz zu seinem Objekt“. Er erzeugt jedoch durch Archivmaterial und originale Film- und Tonaufnahmen sowie Erinnerungen von Familienangehörigen und Freund/innen ein einfühlsames Portrait eines zu früh gestorbenen Kirchbergers. Vor allem ist WUNDER DER WIRKLICHKEIT ein Nachruf und ein Liebesbekenntnis. Sowohl an Kirchberger als auch an eine Epoche, die unwiderruflich vorbei ist. Wie Frickel es in eigenen Worten zum Ausdruck bringt: „25 Jahre ist das her, und ich spüre, dass mein Film diesen Abstand braucht. Die Wunden der Wirklichkeit heilen langsam. Wäre diese Geschichte erfunden, wäre sie nur eine zynische, geschmacklose Übertreibung. Aber so – hat die Katastrophe von Heidelberg die Botschaft des Films auf makabere Weise in die Wirklichkeit hinein verlängert. Viele der Beteiligten habe ich gekannt – und sie kannten mich. Einige, die ich gefragt habe, wollen immer noch nicht darüber sprechen. Es wird eine Erkundung in schwierigem Gelände. Ein Grenzgang auf dem schmalen Grat, der das Erfundene von der Wirklichkeit trennt.“ Im Oktober 2017 wurde WUNDER DER WIRKLICHKEIT mit dem Hessischen Filmpreis ausgezeichnet.